Skulpturen geben der menschlichen Figur, Naturformen sowie Dingen und
abstrakten Formen eine dreidimensionale Erscheinung und Ausdruck. Sie
interpretieren deren körperliche Präsenz und ihr Verhältnis zum Raum. Sie
können die Wahrnehmung des Raumes und auch die des Betrachters selbst
verändern, unabhängig davon, ob sie sich im traditionellen Sinn auf
"gegenständliche" Motive beziehen oder mit ungegenständlichen Formen
arbeiten.
Grundformen der Skulptur sind von alters her die frei aufgestellte Rundplastik,
das Relief und zahlreiche Formen der architekturgebundenen Skulptur. Dazu
kommen in neuerer Zeit Objekte und Gegenstände, die allein oder im Zusammenhang
von Installationen oder durch einen ungewohnten Zusammenhang so inszeniert
werden, dass von ihnen neue Bedeutungen und Wahrnehmungen der Welt ausgehen
können. Neben großen Skulpturen entwickelte die Kleinplastik eine oft ganz
eigene Formensprache und Materialvielfalt, von antiken Terrakotten über
mittelalterliche Elfenbeine bis zum modernen Design-Objekt.
Vom alten Ägypten über die griechisch-römische Antike bis zu den nachantiken
Epochen wurden Gebäude durch Skulpturen verlebendigt. Umgekehrt verliehen die
Architekturen den Skulpturen eine ihre Themen deutende Ordnung. Das gilt
besonders für das Mittelalter, etwa in den romanischen Kirchenportalen und
Kreuzgängen oder in den gotischen Kirchen, sowohl am Außenbau als auch an
Altären, Chorschranken oder Taufbecken. Besonders seit Michelangelo und dann im
Barock wird das dynamische Zusammenwirken von Skulptur und Architektur prägend
für beide Gattungen. Erst seit dem frühen 19. Jahrhundert treten sie oft in ein
eher additives Nebeneinander. Andererseits gibt es gerade heute auch ganze
Architekturen, die wie große Skulpturen modelliert und plastisch geformt
erscheinen, beispielsweise von Frank O. Gehry.
Freiplastiken kommt oft eine besondere, denkmalhafte Würde und Bedeutung zu.
Von den Götterstatuen in den Tempeln Griechenlands über die öffentliche Plätze
beherrschenden Statuen und Brunnenfiguren der Renaissance und die bürgerlichen
Denkmäler des 19. Jahrhunderts bis hin zu monumentalen, nichtfigürlichen
Freiplastiken wie etwa der "Flamme" von Bernhard Heiliger.
Die Reliefplastik stellt wiederum ganz eigene Anforderungen an den Künstler,
indem sie in unterschiedlich abgestuften Schichten mit knappen Mitteln
räumliche Wirkungen erzielen oder auch bewusst ausblenden kann. In der
italienischen Renaissance flammte der "Paragone" auf, ein Wettstreit
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zwischen Malerei und Skulptur um den Vorrang innerhalb der Gattungen. Während
Kunsttheoretiker und Künstler wie Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci
der Malerei den Vorzug gaben, führten Bildhauer wie Giambologna oder Benvenuto
Cellini durch ihre Werke unter anderem den Vorteil der Skulptur vor Augen, von
vielen Seiten betrachtet werden zu können. Schon Bildhauer der Renaissance wie
Donatello, ganz besonders aber solche des Barock wie Gianlorenzo Bernini
bewältigten die Herausforderung, mit Skulpturen auch Geschichten zu erzählen,
zeitliche Abläufe als Sequenzen zu veranschaulichen, die sich durch die
Betrachtung ihrer Werke aus unterschiedlichen Blickpunkten erschließen.
Die gegenseitige Herausforderung von Malerei, Skulptur und Objektkunst sowie
anderer künstlerischer Medien - von der Fotografie über Collagen bis zum
Einsatz elektronischer Medien - prägt auch die zeitgenössische Kunst bei ihrer
Suche nach geeigneten künstlerischen Ausdrucksmitteln. Manchmal wurden dabei
die klassischen Ausdrucksmittel der Skulptur auf knappe, sehr reduzierte Formen
konzentriert, wie in der Minimal Art. Die Mobiles von Alexander Calder
verbinden klassische Themen der Skulptur wie Balance, Erschließung des Raumes
und Bewegung auf neuartige Weise. Andere Künstler, darunter auch Picasso, erweiterten
die Skulptur durch den Einsatz von Alltagsgegenständen und auch von Maschinen,
wie etwa in den Werken von Jean Tinguely. Gerade in der Kunst des 20.
Jahrhunderts spielt überdies das Material oft eine besondere Rolle als Teil der
künstlerischen Aussage, beispielsweise in den Werken von Joseph Beuys.
Skulpturen brauchen auf ähnliche Weise Zeit für ihre Entstehung wie ein
wachsendes Lebewesen, egal ob sie in der klassischen Wortbedeutung von lat.
sculpere (schnitzen, schneiden) aus harten Materialien wie Stein oder Holz
gemeißelt oder geschnitzt sind oder ob sie als "Plastiken", von
griechisch plassein (formen, bilden) aus weichen Materialien wie Ton oder Wachs
modelliert und aufgebaut sind und danach womöglich in Bronze oder anderem
Material gegossen wurden. Manche Künstler haben diesen Entstehungsprozess
selbst zu einem Bestandteil der Darstellungen gemacht, etwa Michelangelo durch
das "nonfinito" (das unvollendete) Stehenlassen grob bossierter
Partien des Marmors, oder Auguste Rodin in den bewegten Oberflächen seiner
Plastiken aus Bronze oder Gips.
Skulpturen sind für die Betrachter meistens eine größere Herausforderung als
zweidimensionale Bilder, deren Interpretation oft leichter fällt. Noch mehr als
solche muss man sie im Original aufsuchen, umschreiten, und von vielen Seiten
erkunden.
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