Hannover will Skulpturen umsiedeln
Die
Kunstkommission hat gesprochen: Viele Skulpturen in der Innenstadt sind veraltet, fehl am Platz oder verrottet. Die Stadt hat die Kunst zu lange im
Regen stehen lassen. Und muss jetzt entschlossen handeln.
Ein verzauberter Spiegel antwortet auf die Frage, ob man schön sei, zuverlässig
"Du bist die Schönste". Die Antworten normaler Spiegel fallen ambivalenter aus
und mitunter so, dass das Ego den Brocken erst einmal verdauen muss. Im Auftrag
der Stadt Hannover hat nun eine externe Kunstkommission ein 120-seitiges
Gutachten mit dem Titel "Tradition und Innovation" verfasst, in dem der Zustand
der Kunst im öffentlichen Innenstadtbereich Hannovers nicht nur dokumentarisch
erfasst, sondern auch kritisch reflektiert wird.
Die Gutachter - Barbara Straka, Peter Rautmann und der Kulturwissenschaftler
Thomas Kaestle (siehe Extratext "Das Gutachten") - geben konkrete Handlungsempfehlungen zur möglichst raschen Umsetzung. In sieben Fällen lautet
ihr Ratschlag tatsächlich entfernen und nicht neu aufstellen. In ein paar
weiteren Fällen raten sie, Objekte als temporär aufzufassen - also über kurz
oder lang ebenfalls zu entfernen. Und 13 Skulpturen und Objekte sind nach
Expertenmeinung unglücklich präsentiert und sollen zeitnah innerhalb der Stadt
verpflanzt werden. An rund der Hälfte von insgesamt mehr als 70 nähe
analysierten Werken haben sie nichts auszusetzen.
Im Lauf der Jahrzehnte sammelten sich in Hannover mehr als 200 Skulpturen und
Plastiken an. Kaum eine andere deutsche Stadt weist eine so hohe Kunstdichte
auf. Bis in die sechziger Jahre dominierte architekturgebundene "Kunst am Bau".
In den siebziger Jahren - der Blütephase für Hannovers Skulpturenprogramm -
lautete das Schlagwort: "Kunst für alle". In den achtziger und neunziger Jahren
zog sich die Kunst mehr und mehr aus den Städten zurück. Man agiert seither
temporär, ortsbezogen, kontextbezogen, projekthaft, allerdings nicht in
Hannover, wie die Gutachter festgestellt haben. Nach dem Nana-Eklat 1974 sei
das hiesige Interesse an Kunst im öffentlichen Raum in sich zusammengefallen.
Über einzelne Kunstobjekte Hannovers heißt es im Gutachten, sie seien "stehen
geblieben", "bestenfalls dekorativ", würden "als Design wahrgenommen". Aber
auch: hätten "Bewusstseinsprozesse" vorangebracht (Nanas) oder "vermutlich die
erste abstrakte Plastik, die offiziell nach dem Zweiten Weltkrieg von einer
westdeutschen Stadt angekauft wurde" (Karl Hartung: "Große Kugelform" am
Friedrichswall).
Auch raten die Experten, die Kunst zu reinigen, zu reparieren, Farbe aufzufrischen, Sockel zu erneuern, Straßenlaternen und Müllkübel zu versetzen,
Büsche zu beschneiden, Umgebung zu gestalten oder ganze Plätze neu zu machen.
Am übelsten dran ist übrigens ein Werk von Karl-Ludwig Schmaltz ("Makrokern
1290" von 1971, Karmarschstraße): Es wird als Mülleimer missbraucht. Die
Experten raten zur sofortigen Entfernung der Plastik.
Auf Seite 42 kommt dann die größte Überraschung. Die bisher Zweifeln weitgehend
enthobene "Skulpturenmeile", vom hannoverschen Galeristen Robert Simon seit den
achtziger Jahren entlang der Brühlstraße als "Freilichtmuseum" angelegt und mit
hohem persönlichem Einsatz und Partnern aus Politik und Wirtschaft realisiert,
macht auf das Expertenteam einen "eher beliebigen Eindruck". Zwar räumt die Kommission ein, dass es sich
dabei um die einzige bewusste Gruppierung künstlerischer Arbeiten im
öffentlichen Raum Hannovers handle und diese musealen Charakter besitze, der
"Mittelstreifenkunst" - die Werke stehen zum Teil auf einem Grünstreifen
zwischen stark befahrenen Autostraßen - erteilen sie dennoch eine herbe Abfuhr.
Das Konzept autogerechter Großplastiken sei schon zu der Zeit hoffnungslos
veraltet gewesen, als Simon weitgehend im Alleingang - auch das wertet das
Gutachten als Minuspunkt - den Innenstadtteil besetzt habe. Die "Skulpturenmeilen"-Kunst sei nicht auf Menschen, sondern auf Fahrzeuge
ausgerichtet. Außerdem wirkten die Werke, als ob jemand sie zufällig fallen
gelassen habe. Die Angelsachsen sprechen von "drop sculptures" oder "parachute
sculptures".
Der Galerist und künstlerische Leiter des Kunstmuseums Celle, der selbst auch
schon als Experte in Skulpturenkommissionen saß, hörte sich die Erläuterungen
der Gutachter schweigend an. Danach
sagte Simon gegenüber dieser Zeitung: "In dem Gutachten ist viel heiße Luft und
auch manches falsch." "Deus ex machina" beispielsweise sei nicht als erste
Großplastik der "Skulpturenmeile" aufgestellt worden, sondern als vorletzte.
Der vorwitzigste Vorschlag der Kommission betrifft Stephan Balkenhols "Mann mit
Hirsch". Die Skulptur solle dem reitenden Ernst August vor dem Hauptbahnhof
ironisierend gegenübergestellt werden. Derzeit geht die Balkenhol-Arbeit auf
einem unattraktiven Platz zwischen Kaufhäusern fast unter.
Hervorragend aufgestellt sind laut Kommission der feuerrote "Hellebardier" von
Alexander Calder am Maschsee, Joseph Kosuths Leibniz-Schriftzug am
Zeughaus, "Hang- over" von Andreas von Weizsäcker unter der Raschplatz-Hochstraße,
Stephan Hubers Wackel-Kronleuchter "Das große Leuchten" vor dem Künstlerhaus
und die Kunst am Nord/LB-Bau.
Sogar eine Analyse der hannoverschen Seele versuchen die Gutachter. Sie gehen
der Frage nach, weshalb die Straßen-, Platz- und Parkkunst bei uns eine weit
höhere öffentliche Akzeptanz besitzt als in den meisten anderen Städten. Man
identifiziere sich in Hannover mit der aufgestellten Kunst, sei stolz darauf,
gleichzeitig aber herrsche "fast eine Diskursferne". Der Nana-Skandal habe die
Bürger der Stadt womöglich "traumatisiert", meinen die Gutachter, "wie zur
Verdrängung werden die Nanas heute anstrengend geliebt und alles Widerständige
im Keim erstickt".
Und das haben die Gutachter an die Stadtpolitiker adressiert: Sie hätten
Hannover aus einem horror vacui heraus unkritisch mit Skulpturen übermöbliert,
"als könnten sie die Offenheit städtischer Situationen nicht ertragen".
Zugleich aber fühle sich in der Verwaltung keiner so recht für die Kunst
verantwortlich. In Hannover habe es zudem nie ein verlässliches Budget für
Stadtpflege gegeben. München lässt sich Stadtkosmetik jährlich rund zwei
Millionen Euro kosten. Das Freilichtmuseum Hannover sei eingerichtet worden und
danach weitgehend sich selbst überlassen gewesen. Fazit der Gutachter:
Hannover
- zuzuku
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Robert
Simon, Galerist und Initiator der "Skulpturenmeile"
sagt zum Gutachten in einem Interview: (HAZ 16.7.2008)
"Da
habe ich viel Geld verbrannt"
In Hannover nennt
man ihn "Mister Skulpturen - Meile". Der Galerist Robert
Simon hat die Stadt über Jahrzehnte mit Skulpturen bestückt.
Nun wird er in einem Expertengutachten kritisiert.
Haben
die Kunstexperten, die ein Gutachten zu Hannovers Straßenkunst
erstellt haben, eigentlich das Gespräch mit Ihnen gesucht?
Nein,
ich bin in keiner Weise einbezogen worden, was mich wundert. Grundsätzlich
finde ich es gut, wenn Bestandsaufnahmen der Kunst im öffentlichen
Raum gemacht werden. Einiges, das hätte entfernt werden müssen,
ist in Hannover stehen geblieben, darunter Arbeiten aus dem "Straßenkunst
- Programm" der siebziger Jahre, das temporär angelegt
war. Manches hat die Stadt angekauft, einiges haben Künstler
geschenkt. So blieb es stehen.
Die Gutachter finden die
von Ihnen angelegte "Skulpturenmeile" beliebig, Die Werke
sähen aus wie zufällig abgeworfen.
Diesen Vorwurf
können sie grundsätzlich für alle Skulpturen und
Kunstobjekte in Städten erheben. Er trifft in diesem Fall aber
nicht zu. Die Werke stehen in vielfältiger Beziehung zur Umgebung.
Ihre Größe beispielsweise erklärt sich durch die
Dimensionen der umstehenden Architektur und die Verkehrslage. Offensichtlich
wurde mein Ansatz von diesen Experten überhaupt nicht verstanden.
In
dem Gutachten heißt es über "Mittelstreifen - Kunst",
diese sei schon passé gewesen, als Sie die "Skulpturenmeile"
in den achtziger Jahren begonnen haben?
Das sind doch
dumme Sprüche, wenn da steht, auf Mittelstreifen solle
man keine Skulpturen mehr hinstellen. Ich habe nicht zufällig
sondern ganz bewusst eine Verkehrsschneise ausgesucht und nicht
etwa eine Grünfläche, wo alles wirkt. Der Königsworther
Platz war eine Verkehrswüste. Wir brauchten dort neue Dimensionen.
Die Auskragung der Häuserskulptur - im Volksmund "Stählener
Engel" - entspricht der Breite der Verkehrsinsel, auf der sie
steht, und beträgt 16 Meter. in den äußersten Spitzen
ist die Skulptur 16 Meter hoch. Die Meile sollte ein Modellfall
in unserer Republik sein, etwas, dass es in dieser Form nirgends
sonst gibt.
Schmerzt Sie, dass Ihr mithilfe von Partnern
aus Stadt, Land, Banken und Lottostiftung realisiertes Projekt nun
von Kunstexperten abgekanzelt wird?
Was ich bedauere
ist, dass kein Mensch mit mir geredet hat. Die Hintergrundinformationen,
die den externen Gutachtern zur Verfügung standen, sind einzig
aus einer hannoverschen Quelle geflossen, von Ludwig Zerull. Als
die Kulturdezernentin das Gutachten am Montag der Presse vorstellte,
bin ich nicht einmal eingeladen worden. Ich bin aber trotzdem hingegangen,
weil ich von dem Termin wusste.
Obwohl
die Meile harsch kritisiert wird, soll sie erhalten und erweitert
werden.
Das ist
nichts Neues. Es gab schon die unterschiedlichsten Versuche, sich
an die "Skulpturenmeile" dranzuhängen. Das bestätigt
mein Konzept.
Sie
werden nicht umsonst Mister "Skulpturenmeile" genannt.
Sie hatten bisher das Sagen. Auch das wird Ihnen jetzt übel
genommen.
Meine
Initiative hat viele Neider auf den Plan gerufen. Es ist auch Gehässigkeit
im Spiel.
Haben
Sie das Gefühl, vor allem Energie und Geld in das Projekt gesteckt
zu haben, oder haben Sie daran ganz gut verdient?
Da
habe ich viel Geld verbrannt. Ich musste etwa, bevor ich an Behörden
und Sponsoren herantreten konnte, aufwendige Expertengutachten und
Modelle erstellen lassen. Es waren übrigens nie einsame Entscheidungen
von Robert Simon. Es gab eine Menge Gutachten von Fachleuten, unter
anderem von Lothar Romain. Das waren mindestens so gute Fachleute
wie die Verfasser des jetzigen Gutachtens. ___________________________________________
Bernhard
Heiliger, "Deus ex Machina", 1985
Das
Experten Gutachten empfielt die Umsetzung ____________________________________ Kommentar:
Der Zeitungsbericht von Johanna di Blasi lässt
schon eine gewisse innere Widersprüchlichkeit des Gutachtens
erkennen - (ehauff) ________________________________________
Hannovers Kunst im öffentlichen Raum macht heute einen
"eher konservativen, wenig lebendigen oder zeitgenössischen Eindruck". Es
herrschten "Stagnation, Musealisierung, Konsens, Affirmation" vor. Deswegen
brauche man sich auch nicht zu wundern, dass Hannover längst nicht mehr genannt
werde, wenn es um spannende Kunst im öffentlichen Raum gehe.
Etwas unvermittelt kommt der positive Ausblick: "Mit mutigen und konsequenten
Projekten und Programmen kann Hannover in nur wenigen Jahren wieder an die alte
Pionierrolle der siebziger Jahre anknüpfen, kann sich ein bundesweites Image
als eine Stadt zurückerobern, die neue Wege geht. Der Zeitpunkt ist genau der
richtige."
Eine Expertenempfehlung lässt sich sofort in die Tat umsetzen: Übernehmen Sie
Patenschaften für Kunstwerke im Stadtraum. Adoptieren Sie stiefmütterlich
behandelte Kunst.
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