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Hannover will Skulpturen umsiedeln



Johanna di Blasi schreibt in der
"
Hannoversche Allgemeine" vom 14.7.2008
www.haz.de/newsroom/kultur/


Hannover will Skulpturen umsiedeln


Die Kunstkommission hat gesprochen: Viele Skulpturen in der Innenstadt sind veraltet, fehl am Platz oder verrottet. Die Stadt hat die Kunst zu lange im Regen stehen lassen. Und muss jetzt entschlossen handeln.

Ein verzauberter Spiegel antwortet auf die Frage, ob man schön sei, zuverlässig "Du bist die Schönste". Die Antworten normaler Spiegel fallen ambivalenter aus und mitunter so, dass das Ego den Brocken erst einmal verdauen muss. Im Auftrag der Stadt Hannover hat nun eine externe Kunstkommission ein 120-seitiges Gutachten mit dem Titel "Tradition und Innovation" verfasst, in dem der Zustand der Kunst im öffentlichen Innenstadtbereich Hannovers nicht nur dokumentarisch erfasst, sondern auch kritisch reflektiert wird.

Die Gutachter - Barbara Straka, Peter Rautmann und der Kulturwissenschaftler Thomas Kaestle (siehe Extratext "Das Gutachten") - geben konkrete Handlungsempfehlungen zur möglichst raschen Umsetzung. In sieben Fällen lautet ihr Ratschlag tatsächlich entfernen und nicht neu aufstellen. In ein paar weiteren Fällen raten sie, Objekte als temporär aufzufassen - also über kurz oder lang ebenfalls zu entfernen. Und 13 Skulpturen und Objekte sind nach Expertenmeinung unglücklich präsentiert und sollen zeitnah innerhalb der Stadt verpflanzt werden. An rund der Hälfte von insgesamt mehr als 70 nähe analysierten Werken haben sie nichts auszusetzen.

Im Lauf der Jahrzehnte sammelten sich in Hannover mehr als 200 Skulpturen und Plastiken an. Kaum eine andere deutsche Stadt weist eine so hohe Kunstdichte auf. Bis in die sechziger Jahre dominierte architekturgebundene "Kunst am Bau". In den siebziger Jahren - der Blütephase für Hannovers Skulpturenprogramm - lautete das Schlagwort: "Kunst für alle". In den achtziger und neunziger Jahren zog sich die Kunst mehr und mehr aus den Städten zurück. Man agiert seither temporär, ortsbezogen, kontextbezogen, projekthaft, allerdings nicht in Hannover, wie die Gutachter festgestellt haben. Nach dem Nana-Eklat 1974 sei das hiesige Interesse an Kunst im öffentlichen Raum in sich zusammengefallen.

Über einzelne Kunstobjekte Hannovers heißt es im Gutachten, sie seien "stehen geblieben", "bestenfalls dekorativ", würden "als Design wahrgenommen". Aber auch: hätten "Bewusstseinsprozesse" vorangebracht (Nanas) oder "vermutlich die erste abstrakte Plastik, die offiziell nach dem Zweiten Weltkrieg von einer westdeutschen Stadt angekauft wurde" (Karl Hartung: "Große Kugelform" am Friedrichswall).

Auch raten die Experten, die Kunst zu reinigen, zu reparieren, Farbe aufzufrischen, Sockel zu erneuern, Straßenlaternen und Müllkübel zu versetzen, Büsche zu beschneiden, Umgebung zu gestalten oder ganze Plätze neu zu machen. Am übelsten dran ist übrigens ein Werk von Karl-Ludwig Schmaltz ("Makrokern 1290" von 1971, Karmarschstraße): Es wird als Mülleimer missbraucht. Die Experten raten zur sofortigen Entfernung der Plastik.

Auf Seite 42 kommt dann die größte Überraschung. Die bisher Zweifeln weitgehend enthobene "Skulpturenmeile", vom hannoverschen Galeristen Robert Simon seit den achtziger Jahren entlang der Brühlstraße als "Freilichtmuseum" angelegt und mit hohem persönlichem Einsatz und Partnern aus Politik und Wirtschaft realisiert, macht auf das Expertenteam einen "eher beliebigen Eindruck".
 Zwar räumt die Kommission ein, dass es sich dabei um die einzige bewusste Gruppierung künstlerischer Arbeiten im öffentlichen Raum Hannovers handle und diese musealen Charakter besitze, der "Mittelstreifenkunst" - die Werke stehen zum Teil auf einem Grünstreifen zwischen stark befahrenen Autostraßen - erteilen sie dennoch eine herbe Abfuhr. Das Konzept autogerechter Großplastiken sei schon zu der Zeit hoffnungslos veraltet gewesen, als Simon weitgehend im Alleingang - auch das wertet das Gutachten als Minuspunkt - den Innenstadtteil besetzt habe. Die "Skulpturenmeilen"-Kunst sei nicht auf Menschen, sondern auf Fahrzeuge ausgerichtet. Außerdem wirkten die Werke, als ob jemand sie zufällig fallen gelassen habe. Die Angelsachsen sprechen von "drop sculptures" oder "parachute sculptures".
Der Galerist und künstlerische Leiter des Kunstmuseums Celle, der selbst auch schon als Experte in Skulpturenkommissionen saß, hörte sich die Erläuterungen der Gutachter
  schweigend an. Danach sagte Simon gegenüber dieser Zeitung: "In dem Gutachten ist viel heiße Luft und auch manches falsch." "Deus ex machina" beispielsweise sei nicht als erste Großplastik der "Skulpturenmeile" aufgestellt worden, sondern als vorletzte.
Der vorwitzigste Vorschlag der Kommission betrifft Stephan Balkenhols "Mann mit Hirsch". Die Skulptur solle dem reitenden Ernst August vor dem Hauptbahnhof ironisierend gegenübergestellt werden. Derzeit geht die Balkenhol-Arbeit auf einem unattraktiven Platz zwischen Kaufhäusern fast unter.
Hervorragend aufgestellt sind laut Kommission der feuerrote "Hellebardier" von Alexander Calder am Maschsee, Joseph Kosuths Leibniz-Schriftzug am Zeughaus,

"Hang- over"  von Andreas von Weizsäcker unter der Raschplatz-Hochstraße, Stephan Hubers Wackel-Kronleuchter "Das große Leuchten" vor dem Künstlerhaus und die Kunst am Nord/LB-Bau.
Sogar eine Analyse der hannoverschen Seele versuchen die Gutachter. Sie gehen der Frage nach, weshalb die Straßen-, Platz- und Parkkunst bei uns eine weit höhere öffentliche Akzeptanz besitzt als in den meisten anderen Städten. Man identifiziere sich in Hannover mit der aufgestellten Kunst, sei stolz darauf, gleichzeitig aber herrsche "fast eine Diskursferne". Der Nana-Skandal habe die Bürger der Stadt womöglich "traumatisiert", meinen die Gutachter, "wie zur Verdrängung werden die Nanas heute anstrengend geliebt und alles Widerständige im Keim erstickt".


Und das haben die Gutachter an die Stadtpolitiker adressiert: Sie hätten Hannover aus einem horror vacui heraus unkritisch mit Skulpturen übermöbliert, "als könnten sie die Offenheit städtischer Situationen nicht ertragen". Zugleich aber fühle sich in der Verwaltung keiner so recht für die Kunst verantwortlich. In Hannover habe es zudem nie ein verlässliches Budget für Stadtpflege gegeben. München lässt sich Stadtkosmetik jährlich rund zwei Millionen Euro kosten. Das Freilichtmuseum Hannover sei eingerichtet worden und danach weitgehend sich selbst überlassen gewesen. Fazit der Gutachter:

Hannover - zuzuku Informationsseite


Robert Simon,
Galerist und Initiator der "Skulpturenmeile" sagt zum Gutachten in einem Interview: (HAZ 16.7.2008)

"Da habe ich viel Geld verbrannt"

In Hannover nennt man ihn "Mister Skulpturen - Meile". Der Galerist Robert Simon hat die Stadt über Jahrzehnte mit Skulpturen bestückt. Nun wird er in einem Expertengutachten kritisiert.

Haben die Kunstexperten, die ein Gutachten zu Hannovers Straßenkunst erstellt haben, eigentlich das Gespräch mit Ihnen gesucht?

Nein, ich bin in keiner Weise einbezogen worden, was mich wundert. Grundsätzlich finde ich es gut, wenn Bestandsaufnahmen der Kunst im öffentlichen Raum gemacht werden. Einiges, das hätte entfernt werden müssen, ist in Hannover stehen geblieben, darunter Arbeiten aus dem "Straßenkunst - Programm" der siebziger Jahre, das temporär angelegt war. Manches hat die Stadt angekauft, einiges haben Künstler geschenkt. So blieb es stehen.

Die Gutachter finden die von Ihnen angelegte "Skulpturenmeile" beliebig, Die Werke sähen aus wie zufällig abgeworfen.

Diesen Vorwurf können sie grundsätzlich für alle Skulpturen und Kunstobjekte in Städten erheben. Er trifft in diesem Fall aber nicht zu. Die Werke stehen in vielfältiger Beziehung zur Umgebung. Ihre Größe beispielsweise erklärt sich durch die Dimensionen der umstehenden Architektur und die Verkehrslage. Offensichtlich wurde mein Ansatz von diesen Experten überhaupt nicht verstanden.

In dem Gutachten heißt es über "Mittelstreifen - Kunst", diese sei schon passé gewesen, als Sie die "Skulpturenmeile" in den achtziger Jahren begonnen haben?

Das sind doch dumme Sprüche, wenn da steht,
auf Mittelstreifen solle man keine Skulpturen mehr hinstellen. Ich habe nicht zufällig sondern ganz bewusst eine Verkehrsschneise ausgesucht und nicht etwa eine Grünfläche, wo alles wirkt. Der Königsworther Platz war eine Verkehrswüste. Wir brauchten dort neue Dimensionen. Die Auskragung der Häuserskulptur  - im Volksmund "Stählener Engel" - entspricht der Breite der Verkehrsinsel, auf der sie steht, und beträgt 16 Meter. in den äußersten Spitzen ist die Skulptur 16 Meter hoch. Die Meile sollte ein Modellfall in unserer Republik sein, etwas, dass es in dieser Form nirgends sonst gibt.

Schmerzt Sie, dass Ihr mithilfe von Partnern aus Stadt, Land, Banken und Lottostiftung realisiertes Projekt nun von Kunstexperten abgekanzelt wird?

Was ich bedauere ist, dass kein Mensch mit mir geredet hat. Die Hintergrundinformationen, die den externen Gutachtern zur Verfügung standen, sind einzig aus einer hannoverschen Quelle geflossen, von Ludwig Zerull. Als die Kulturdezernentin das Gutachten am Montag der Presse vorstellte, bin ich nicht einmal eingeladen worden. Ich bin aber trotzdem hingegangen, weil ich von dem Termin wusste.

Obwohl die Meile harsch kritisiert wird, soll sie erhalten und erweitert werden.

Das ist nichts Neues. Es gab schon die unterschiedlichsten Versuche, sich an die "Skulpturenmeile" dranzuhängen. Das bestätigt mein Konzept.

Sie werden nicht umsonst Mister "Skulpturenmeile" genannt. Sie hatten bisher das Sagen. Auch das wird Ihnen jetzt übel genommen.

Meine Initiative hat viele Neider auf den Plan gerufen. Es ist auch Gehässigkeit im Spiel.

Haben Sie das Gefühl, vor allem Energie und Geld in das Projekt gesteckt zu haben, oder haben Sie daran ganz gut verdient?

Da habe ich viel Geld verbrannt. Ich musste etwa, bevor ich an Behörden und Sponsoren herantreten konnte, aufwendige Expertengutachten und Modelle erstellen lassen. Es waren übrigens nie einsame Entscheidungen von Robert Simon. Es gab eine Menge Gutachten von Fachleuten, unter anderem von Lothar Romain. Das waren mindestens so gute Fachleute wie die Verfasser des jetzigen Gutachtens.
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Bernhard Heiliger, "Deus ex Machina", 1985


Das Experten Gutachten empfielt die Umsetzung

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Kommentar:

Der Zeitungsbericht von Johanna di Blasi lässt schon eine gewisse innere Widersprüchlichkeit des Gutachtens erkennen  -
(ehauff)
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Hannovers Kunst im öffentlichen Raum macht heute einen "eher konservativen, wenig lebendigen oder zeitgenössischen Eindruck". Es herrschten "Stagnation, Musealisierung, Konsens, Affirmation" vor. Deswegen brauche man sich auch nicht zu wundern, dass Hannover längst nicht mehr genannt werde, wenn es um spannende Kunst im öffentlichen Raum gehe.
Etwas unvermittelt kommt der positive Ausblick: "Mit mutigen und konsequenten Projekten und Programmen kann Hannover in nur wenigen Jahren wieder an die alte Pionierrolle der siebziger Jahre anknüpfen, kann sich ein bundesweites Image als eine Stadt zurückerobern, die neue Wege geht. Der Zeitpunkt ist genau der richtige."


Eine Expertenempfehlung lässt sich sofort in die Tat umsetzen: Übernehmen Sie Patenschaften für Kunstwerke im Stadtraum. Adoptieren Sie stiefmütterlich behandelte Kunst.