Zwölf Bemerkungen, eher zum öffentlichen Raum als zur Kunst
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"Kunst"... "im"... "öffentlichen"... "Raum"...
Dass es
Dutzende von Veranstaltungen gibt, welche sich unter den Formeln "Kunst im
öffentlichen Raum" oder auch "Kunst am Bau" mit einer absolut nicht
selbsterklärenden Gattungsfrage auseinandersetzen wirft zunächst die Frage auf,
ob eigentlich ein Patient erkrankt ist oder allenfalls die Ärzte. Oder wäre ein
Symposium zur "Kunst in Fahrzeugen" oder "Kunst in Museen" als Gattungsproblem
vorstellbar? Setzen
wir dazu zwei Hypothesen an den Anfang: 1.
Bildende Kunst hat heute im Raum, der sich "öffentlich" nennt, nichts zu
suchen, im wörtlichen Sinn nicht, weil sie dort nicht finden wird, was sie als
ihren Raum benötigt - mit Ausnahme des Denkmals und des Mahnmals. 2. Das,
was als Kunst im Öffentlichen Raum dennoch erscheint, vermag dort seinen
autonomen Status gegenüber der Architektur, der Dekoration, dem Marketing oder
der Kommunikation kaum noch zu behaupten, es sei denn die Performance oder die
Intervention. Lassen
wir mal die zwei Dutzend Gegenbeispiele weg, die Sie mir jetzt innerlich
entgegenschleudern. Denn das leise Gefühl der Peinlichkeit, das einem
regelmässig überfällt, wenn man ausnahmsweise über die Kunst im Freien nicht
einfach hinwegsieht, ist mehr als eine Anekdote: Es betrügt nicht. Ich glaube,
dass dies eine signifikante Grunderfahrung ist, die nichts mit der Qualität der
Kunst zu tun hat. Woher kommt sie ? Im Museum kenne ich ein vergleichbares
Gefühl nicht, selbst in einen Provinzmuseum nicht mit sogenannt mässiger
Kunstsammlung. Ich nehme an, dass diese besondere Desavouierung
von Kunst unmittelbar mit den heutigen Wahrnehmungsbedingungen im öffentlichen
Raum zusammenhängt.
2 Re-Präsentation
"Kunst im
öffentlichen Raum" hat aus der Geschichte eine ziemlich doppeldeutige Erblast
übernommen, welche sie auch dann nicht einfach abstreifen kann, wenn sie will:
jene der Repräsentation. Als es noch keine Symposien zum Thema gab, weil es
diesbezüglich keine Unklarheiten gab, hat Kunst auf Plätzen, in Parks oder auf
Friedhöfen in den meisten Fällen die Aristokratie, die Kirche, dann den Staat
in irgendeiner Form repräsentiert. Was bleibt davon heute?
Wenn Sie
jetzt sofort einwenden, dass diese Repräsentation heute gar keine Rolle mehr
spiele, dann erlaube ich mir die Zwischenfrage: Warum erscheint die Kunst denn
überhaupt noch in dieser Öffentlichkeit ? Wer Zweifel hat, dass die
historischen Wurzeln der Repräsentation bis heute überlebt haben, dem empfehle
ich einmal, im Internet die Konzepte zur öffentlichen Kunst der großen Städte
runter zu laden. Die meisten dieser Papiere sind sorgfältig formuliert und auch
durch illustere Beiräte, erlaborierte Thesenprogramme und Verfahren abgefedert.
Aber es
bleibt ein gemeinsamer Grundton in den Argumenten: Die Stadt ist Herr des
kollektiven Raumes, von ihr stammen die dramaturgischen Regeln und auch die
konzeptionellen Rahmenziele für die öffentlichen Kunstprogramme. Natürlich
sehen diese alle auch die Möglichkeiten von Performances, Installationen,
Interventionen vor. Aber es bleibt klar, dass Kunst z.B. dem Ziel der Stärkung
der betreffenden Stadt als bedeutender Kulturstandort oder der sog. "urbanen
Identität" zu dienen haben. Das hat natürlich das Burgtheater auch, keine
Frage. Nur ist dort die künstlerische und damit die mediale Frage ziemlich umfassend
geklärt. Und auch jedes Museum hat einen Propagandaauftrag, aber nicht jedes
Kunstwerk darin.
Aber sind
diese Fragen auch bei der öffentlichen Skulptur geklärt? Ich bezweifle es. Die
"Repräsentation" selbst ist dabei für das Kunstwerk gar kein Problem.
Öffentliche Kunst lässt sich heute kaum noch als "Staatskunst" verunglimpfen,
auch wenn sie Staat und Gesellschaft "irgendwie" zu repräsentieren hat.
Ungeklärt ist vielmehr, wie die Kunst diese "Wirkung" erzielen möchte.
Anders
gesagt: Der Begriff des "Öffentlichen Raumes" unterstellt in seiner
Harmlosigkeit eine gefestigte Vorstellung davon, wie diese "Öffentlichkeit"
beschaffen ist. Und somit spekuliert er auch über die künstlerischen Formen und
Verfahren, in denen die Kunst dort wahrgenommen wird. Wie aber sollen wir uns
diese öffentliche Wahrnehmung heute vorstellen ? Vielleicht eher Wahrnehmungen
und Nicht-Wahrnehmungen, im Plural ? Vielleicht nur noch als interaktiver
Prozess ? Oder als permanente ästhetische Rebellion ? Vielleicht alle fünf
Jahre anders ? Nein, dass repräsentiert wird ist das kleinere Rätsel als: wie.
Und
erlauben Sie mir dazu als Vorgriff einen kurzen Einschub: Wenn die Kunst sich
den urbanen Raum tatsächlich als Spielfeld erhalten möchte, so tut sie meines
Erachtens gut daran, sogar auf diesem "Repräsentationsauftrag" zu beharren. Er
allein ist es, der als umkämpfte Formel die Kunst hier spezifisch macht und
letzten Endes politisch unter Spannung setzt...
3
Beethoven in der Badeanstalt
Unsere
Debatte hier entzündet sich also in Wirklichkeit mehr an Öffentlichkeit und
Raum als an der Kunst selbst. Es stellt sich dabei weniger die Frage, ob die
Kunst "gut genug" ist für den öffentlichen Raum, sondern ob der öffentliche
Raum überhaupt noch in der Verfassung ist, diese Kunst nicht nur zu ertragen,
sondern zu tragen. Ich
glaube, es ist zunächst notwendig, die Vorstellung davon, was "Verräumlichte
Öffentlichkeit" ist, radikal zu entharmlosen. Wir brauchen eine schärfere
Vorstellung davon, was sich in den Ritzen, Brüchen, Strassenzügen der Stadt,
auf den Platz-Leichen oder vor Shoppingcenter-Eingängen als öffentliches Leben
tatsächlich abspielt.
Aus der
Sicht der Kunst ist es nicht unproduktiv zu unterstellen, dass sie sich, wenn
sie sich hinaus begibt, gewissermassen in "Feindesland" begibt. Sie hat gute
Chancen, den augenblicklichen Aggregatszustand der örtlichen Vorgänge zu
missverstehen. Und noch grössere, jene zu verpassen, welche sich dort in fünf
Jahren wuchernd ausgebreitet haben werden. Damit soll keineswegs unterstellt
werden, dass die Künstler zu wenig mit dem realen Leben verkrallt seien. Und
"feindlich" meint auch keineswegs, dass die Subjekte, auf welche das Werk
stossen wird, kein Interesse an Kunst haben werden. Denn ein solches haben ja
dank "soziokultureller Fusion" heute fast alle. "Feindlich"
meint, dass dasjenige, was die Kunst unter Umständen an "öffentlicher
Wahrnehmung" voraussetzt, in Wirklichkeit ein unübersichtlicher, labiler und
örtlicher Handlungs- und Kommunikationsdschungel ist. Er entfaltet die
Augenblicke und Einstellungswinkel seiner ästhetischen Aufmerksamkeit auf die
Umgebung so unberechenbar und mit so uneinheitlichen Mustern, dass unter der
etwas ratlosen Formel des "Öffentlichen" mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum
Kontakt zwischen Werk und Betrachter zu unterstellen ist, keine Wirkung also.
Nun wird
man zu Recht einwenden, dass sich die Kunst schon seit dem Aktionismus oder
Fluxus darauf eingestellt hat. Das ist sehr wahr. Wir werden aber gerade noch
sehen, dass der Erfolg von "Beethoven in der Badeanstalt" oder "Nam June Paik
at Harvard Square" zum Verständnis dessen, was die tückenreichen, verborgenen
Eigenschaften des offenen Raum heute sind, noch einiges beitragen wird.
4
Surface, Occupation
Die
Transformation von "Öffentlichkeit" bis zur Auflösung des Begriffes liesse sich
soziologisch oder politisch herleiten. In unserem Zusammenhang haben wir es
aber mit der Verräumlichung des "Common sense" zu tun. Deshalb ist es nicht
uninteressant, den materiellen Zustand der Stadt und ihrer Räume wie einen
Fibermesser für die Veränderung des Öffentlichen zu betrachten.
Für
unsere Städteportraits im Studio Basel der ETH haben wir dazu zwei
Untersuchungsbegriffe festgelegt, welche die Stadt weniger nach ihren
architektonischen Qualitäten betrachten als vielmehr in einer Art von
Ethnologie des gesellschaftlichen Gebrauches von Stadt. Die beiden Begriffe
sind "occupation" und "surface". "Occupation" beschreibt die Beschlagnahmung
der physischen Wirklichkeit ,Stadt', der Häuser, Strassen und Einrichtungen
durch den realen Gebrauch. Unter "Surface" betrachten wir im weitesten Sinne
den materiellen Zustand der Oberfläche, der Haut, des Bodens der Stadt.
Diese
beiden Aspekte beschreiben als Gebärde und als Ausdruck dieser Gebärde jenes
Muster, mit der sich eine städtische Kultur in ihrem Gemäuer einrichtet. Sie
beschreiben die Stadt nicht aus der Sicht ihrer Planung, sondern als Plattform
einer ständig in Transformation befindlichen "Anwendung von Stadt". Wir
betrachten gewissermassen den Abdruck der urbanen kollektiven Psychologie. Das
"Öffentliche" ist jener Teil des Abdruckes, in dem die Stadt als Kollektiv -
oder als Kollektive - Spuren und Zeichen im materiellen Raum hinterlässt. Es
ist also auch der Ort der Kunst. Und die Kunst ist beides gleichzeitig: sie ist
wie ein Tätowierung in der Haut der Stadt, wo die Gemeinschaft ihr Innerstes
als Zeichen preisgibt. Aber die Kunst ist auch "occupation", Beschlagnahmung
des kollektiven Raumes durch den künstlerischen Gebrauch.
Um diesen
sozialen und politischen Raum also geht es. Er ist die Verräumlichung dessen,
was einst der ,Raum der Polis' war . Es lohnt sich also, ein paar Aspekte der
Transformation des Öffentlichen anhand des veränderten Stadtraumes
herauszugreifen, soweit sie in europäischen Städten allgemeineren Charakter
haben. Es ist dies der Kunstraum der Gegenwart.
5
Isotopie
Eine der
einschneidendsten Veränderungen der Stadträume ist ihr Hang zur Isotopie. Wenn
wir die Stadt der Ecole de Beaux Arts, oder wem das lieber ist: auch jene der
Charta von Athen nehmen, dann erzeugen beide Ordnung, indem sie Differenz
herstellen. Fast alle transformatorischen Kräfte in der gegenwärtigen Stadt
tendieren dagegen zu Isotopie. Dh. sie neigen dazu, potentiell die
Gleichwertigkeit jedes Punktes herzustellen. Das gilt auch für das, was früher
die "städtische Öffentlichkeit" gewesen ist.
Diese
Entwicklung hat viele Konsequenzen, eine davon ist paradox. Die Grammatik des
öffentlichen Gebrauchs von Stadt zerfällt in eine Vielzahl von
unterschiedlichsten, quecksilbrigen und sozial segmentierten Gebrauchformen.
Aber diese können jederzeit an jedem Ort auftreten. So gesehen ist die
Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt oder auch nicht,
tendenziell an jedem Ort der Stadt ähnlich. Die Städte haben damit die
Beschaulichkeit eines urbanen Vordergrundes, Mittelgrundes und Hintergrundes
eingebüsst, die Kunst auch.
Die
Städte reagieren nervös auf diese Frage. In fast jedem Stadtkonzept zur
öffentlichen Kunst wird deswegen die "Ortsbezogenheit" verlangt. Nur: was ist
an einem Platz heute spezifisch ausser seine Koordinaten ? Und wenn wir das
Spezifische finden: ist es in drei Jahren immer noch so ? Natürlich können wir
die Architektur eines Ortes als Stabilität beschreiben. Aber bedeutet der Platz
noch, wozu er gedacht war oder was er im letzten halben Jahrhundert geworden
ist, oder vor zehn Jahren? Und hat er noch diese Funktion? Ist nicht neulich
die Strasse fünf Blocks weiter zum urbanen Spot geworden ? Und bleibt er das ?
In einer
Gesellschaft, die in Lagerhallen Kino schaut, im Stadthaus Hotels einrichtet,
in Bürotürmen der Fünfziger Jahre die wichtigsten Discos hat und im eigenen
Büro wohnt oder ins Internet emigriert, da ist es schwer zu sagen, was wo mit
wem wirklich passiert. Und es ist fast unmöglich geworden, Ereignisse
vorauszusagen, auch für eine Kunst, die sich darum bemüht. Die räumliche
Organisation des Öffentlichen ist zum Ölfilm geworden.
6 Tattoo
im Asphalt
Eines der
aufregendsten Phänomene einer Stadt ist
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ihre Haut, ihre Oberfläche,
insbesondere ihr Boden. Parallel zur isotopischen Transformation hat der Boden
wichtige Eigenschaften als Bühne des städtischen Lebens eingebüsst, und andere
dazugewonnen. Die Topographie unterschiedlicher Intensitäten und
unterschiedlicher Pressionen hinterlässt Abdrücke im öffentlichen Raum. Die Summe
verschiedenster Beanspruchungen als Folge der Auflösung des öffentlichen
Zweckvertrages führt zu einer Art Überdeterminierung des Bodens: Er ist durch
Zwecke, Funktionen, Ansprüche und Bedeutungen überladen. Bemerkenswerterweise
wird der Stadtboden dadurch nicht unbestimmt. Er unterliegt im Gegenteil einer
dauernden territorialen Klärung, Begradigung, Grenzbereinigung und figurativen
Aufladung. Dieser Druck macht den Boden zum Medium, sozusagen zu einer
kontinuierlichen, sensitiven Haut.
Wer das
bezweifelt, möchte sich einmal ein Bild davon machen, was in Strassen oder
Parks unterdessen alles festgeschraubt, aufgemalt, saniert, eingeklebt,
abgegrenzt, zugeordnet, ausgezeichnet ist, um zu ahnen, wer was alles
beansprucht. Diese überfrachtete, überreizte und grenzenlose Haut ist es, welche
möglicherweise mehr als alle physischen Veränderungen sonst die Bedingungen für
Kunst in diesem Raum verschoben hat. Unbeschadet
davon, welche Öffentlichkeitsform darin inszeniert wird raubt diese Aufladung
dem städtischen Raum sehr vieles, was dessen traditionelle Kunstwerke
unabdingbar benötigt hatten: Gelassenheit, Mehrdeutigkeit, Unbestimmtheit. Nun
kann sich Kunst natürlich bewusst mit diesen neuen Eigenschaften
auseinandersetzen, zweifellos. Aber zuallererst ist das Werk dann von der
selben Redundanz bedroht wie die vierte Pendlerzeitungsbox, welche an der
Tramstation gegen die drei bisherigen antritt. Und das ist keine Metapher: Es
handelt sich um einen Wettkampf zwischen Medien, in einem ungewissen Vorführraum.
Alle unsere Städte sind voll von Kunstwerken, auch neuen, die ebenso ratlos
herumstehen wie halbleere Gratiszeitungsboxen.
7 Demarkationslinien
Städtischer
Raum, seine Oberfläche ist also Massenmedium geworden, ungebärdig, hechelnd.
Diese Screen hat, um in dieser Direktheit zu funktionieren, eine weitere
Klärung zu Voraussetzung, die Schärfung der Demarkationslinie zwischen privatem
und nichtprivatem Raum. "Nicht-Privat" heisst zunächst keineswegs "öffentlich",
sondern "nicht unter privater Kontrolle". Eigentlich gibt es in der Stadt der
Gegenwart keinen halböffentlichen Raum mehr, keine ungeklärten Zonen oder
solche des Überganges. Der sogenannte öffentliche Raum ist jener, der nicht
privat kontrolliert wird. Dieser Raum ist eigentlich sogar hyperöffentlich
geworden und er ist extrem klar begrenzt. Aber selbst in diesem Raum spielt das
Private eine tragende Rolle.
Das Feld,
auf dem die Hoheit über diesen Raum umkämpft wird, ist die Ebene der Medien. In
allen Bereichen der Gesellschaft haben sich ästhetische und andere
Kommunikationsformen längst angeglichen, ihre Grenzen verwischen. Nirgendwo
sonst aber verkeilen sich die verschiedenen medialen Stränge räumlich so klar
und gnadenlos wie in der offenen Stadt. Wenn Kommunikation, Marketing oder
Corporate Idendity auf den hyperöffentlichen Raum zugreifen entsteht im Grunde
eine einfache Repräsentationskonkurrenz zwischen Staat und Privaten. Es geht
dann nicht um private Kontrolle des Raums, sondern um private Besetzung des
Öffentlichen mit Bedeutung. Ein wesentlicher Teil dieser Offensive hat
ästhetischen Charakter. Diese
Entwicklung ist weder neu noch besonders überraschend. Bemerkenswert ist das
Ausmass und das Tempo der Veränderung. Stellen Sie sich einmal die
stadträumlichen Marketingrestriktionen der Fussball-WM 2006 in der Gesellschaft
der 60er Jahre vor oder die Plastikkuh-Installationen der Ladenbesitzer der
Innenstädte, deren unrühmlicher Ursprung in Zürich liegt. Natürlich, auch
Kunst, viel Kunst ist nun zugelassen, aber der Kunstraum der Stadt befindet
sich gewissermassen in einen Zustand hegemonialer Bedrohung. Das hat auch mit
der Veränderung der städtischen Architekturen selbst zu tun.
8
"Lippenstift für den Gorilla"
Nun nähern wir uns doch noch der Architektur. Seit etwa zwanzig Jahren also sind
Architektur und Bildende Kunst in neue Formen der Interaktion getreten. Nach
wichtigen Experimenten bis in die 90er Jahre büsste die Entwicklung rasch ihren
tastenden Charakter ein. Die Architektur ist ziemlich schnell zu einer ziemlich
direkten Ausbeutung von Kunst als Quelle ihrer eigenen Extase übergegangen. Das
hyperventilierende Gebäude selbst setzt nun das Kunstwerk einer ähnlichen
Provokation aus wie der öffentliche Raum. "Lippenstift für den Gorilla" hat
Norman Foster dies genannt.
Der Fall der Architektur ist aus der Sicht beider Disziplinen insofern doppeldeutig, als
diese Spannung letztlich bis auf die Renaissance zurückgeht, als sich das
Kunstwerk aus der Architektur heraus emanzipiert hat. Die Explosivität der
Verbindung ist deswegen nicht überraschend, weil das Ineinanderschieben von
Wahrnehmungs- und Produktionsfeldern offensichtlich nicht nur Erkenntnisse,
sondern auch unerwartete Wirkungsmöglichkeiten freigesetzt hat. Das hat die
Architektur schneller gemerkt als die Kunst. Aus der Sicht der Architektur blieb es deshalb keineswegs bei der Beschaulichkeit einer Wiederannäherung. Die
architektonischen Experimente der Achtziger Jahre waren nur eine
Vorbereitungsarbeit für einen nächsten Schritt, welcher die Stadt ebenso
umformen sollte wie die Kunst.
9 Master
and Servant
Diese Transformation war in dem Moment vollzogen, als sich die Architektur in der
Stadt als anderes aber gleichberechtigtes, autonomes "Kunstwerk" im
öffentlichen Raum hat etablieren können. Dieser Statuswechsel ist in Wirklichkeit
eine ausgesprochen vielschichtige Operation. Aber paradoxerweise ist dieser
aggressive Zugriff auf die Struktur des urbanen Raumes nicht nur Absicht der
neuen städtische Architektur, sondern auch ihre Voraussetzung.
Traditionellerweise
ist neben der Funktion die erste und übergeordnete Logik, der sich eine
Architektur zu unterziehen hat, die Interpretation der sogenannten
"Städtebaulichen Situation". Damit ist die Vorstellung verbunden, dass jede
Stadt über eine eigenständige Syntax und Grammatik verfügt. Diese organisiert
vor allem anderen den öffentlichen Raum und die öffentlichen Funktionen. In der
letzten Dekade sind nun zahlreiche Projekte gezeichnet und auch gebaut worden,
deren Beziehung zur bestehenden Stadt vielleicht noch am Rande mit diesen
grammatikalischen Regeln zu tun hat. Ihre zwei zentralen Botschaften sind:
1. Ihr
Formprinzip verweist in hohem Mass auf sich selber, beansprucht also Autonomie
und 2. Sie
organisiert in ihrem Inneren eine kontrollierte Suböffentlichkeit, welche klar
vom öffentlichen Raum geschieden wird.
Warum ist
dies für unsere Fragestellung von Belang ?
10 Hyperskulpturen und Nicht-Räume
Die
Architekturen sind ein extrem präziser Indikator für den Wandel des
Öffentlichen. Oder genauer gesagt: Diese neuen Häuser bringen zum Ausdruck,
dass es "Öffentlichkeit" nicht mehr gibt, zumindest nicht in der Art, wie wir
den Begriff kennen. Und die neuen Häuser arbeiten selbst an deren Abschaffung.
Gerade
weil Architektur keine Kunst ist, sondern bereits in ihrem genetischen Code
Gebrauchsformen, Kommunikationsformen, Repräsentationsformen und Kunstformen in
sich selbst überlagert, ja verwischt, tritt sie in diesem neuen Aussenraum
ausgesprochen erfolgreich auf. Mehr noch, sie ist begründender Teil von ihm.
Architekturen werden zu Hyperskulpturen, ihre Bühne ist zwingend der Nicht-Raum
oder der Unraum, der die Skulptur isoliert und freistellt. Das Schweigen
dazwischen ist nicht die Schwäche, sondern die Voraussetzung ihrer Wirkung. Die
logische Folge ist der Gegenzug: Künstler schaffen nun Architekturen als
Skulpturen.
Was
heisst das ? Es existieren zwar die physischen Räume noch, sie sind auch in
technischen Sinne "öffentlich", aber es wird hart an der Auflösung der
Bedeutung gearbeitet. Die Räume sind durch ein labiles Kräftespiel okkupiert,
von allen möglichen Interessen, von Absichten, Zwecken, Initiativen, Bewegungen
und Funktionen. Das ist der Grund warum sie unstet, uneinheitlich und mobil
geworden sind. Boris Groys nennt diese Räume "uncertain spaces", und er sieht
darin einen Grundwiderspruch zum Kunstverständnis des Westens, das den
geklärten, sicheren Raum benötige. In gewissen Sinne sind viele dieser
einstigen "public spaces" nun sogar
ausserordentlich politisch und vital geworden, andere "controlled areas"
oder "closed communities". Dazwischen gibt's kaum noch was. Offene Stadträume
sind heute im Grunde samt und sonders Plattformen für Stücke, die dauernd
wechseln, welche passieren oder manipuliert werden, scheitern oder explodieren.
Auf alle Fälle sind sie keine Orte mehr, in der sich eine "Polis" konstituiert
oder repräsentiert, Politik ohne Polis sozusagen.
Darauf
hat die Architektur reagiert. Ihre Auftraggeber wünschen sich Häuser mit einem
grossen Auftritt auf diesem unsicheren, endlosen Raum ohne Eigenschaften. Und
sie wünschen sich anstelle des unkontrollierbaren Platzes vor dem Haus die
beherrschbare Innenbühne mit der Binnenöffentlichkeit des Hauses, welche vom
Aussenraum geschieden ist. Diesem Profil verdanken diese Häuser ihre
Entstehung. Das scharfe Auseinanderdriften zwischen kontrollierter und offener
urbaner Sphäre dürfte zu einem der konstituierenden Merkmale der Stadt des 21.
Jahrhunderts werden.
11 Nikis
Michelin-Männchen
Was den
Staat oder die Mäzene und die Kunst betrifft, so ist das Art Center natürlich
der Prototyp dieses Programms, noch vor dem Hotel und dem Shopping Center.
Umgekehrt unterliegt die Kunst der genau gleichen Dichotomie zwischen innen und
aussen.
Die
Tatsache, dass sich in den letzten zwanzig Jahren dennoch viele Interventionen,
Performances und Aktionen in diesem wild gewordenen offenen Raum höchst
erfolgreich Beachtung verschaffen konnten ist vor diesem Hintergrund keine
Überraschung, sondern eine Bestätigung. Die "uncertain spaces" , nun nicht mehr
öffentlich, sondern politisch, sind Räume, in denen die Kunst agiert, sogar
agitiert. Denn die Unsicherheit ist gerade die Besonderheit dieses
Wirkungsraumes, etwa gegenüber dem Museum. Der Aktionscharakter der Kunst
bringt aus der relativen Zufälligkeit und Unvorhergesehenheit öffentlichen
Geschehens durch örtliche und zeitliche Eingrenzung jenen einen - letztlich
"politischen" - Augenblick zum Tönen, welchen sie zu antizipieren und in
Kunstform gewissermassen zur Eruption zu bringen vermag. Oder aber die Kunst
kokettiert eben gerade damit, dass sie von andern medialen Ereignissen kaum
noch zu unterscheiden ist.
Das
Umgekehrte passiert dem wunderbar leichten Engel von Niki de St.Phalle in der
Bahnhofhalle von Zürich. In den Achtziger Jahren wurde die alte Gleishalle als riesiger
öffentlicher Platz freigelegt. Zwischenzeitlich dient er Weihnachtsmärkten,
Modeschauen grosser Labels, PR-Ausstellungen oder Jubiläumsveranstaltungen von
Banken. In diesen häufigen Momenten wirkt der Engel wie ein Werbe-Fesselballon
des jeweiligen Veranstalters, eine Art gekapertes Michelin-Männchen von Dolce
und Gabbana...
12 So
what....?
Meine
Anmerkungen waren lediglich Erwägungen eines Verdachtes. Sie bezogen sich im
wesentlichen auf den Zustand des Öffentlichen, und dabei auch nur auf den
offenen Raum der Stadt, was ja nicht aller kollektive Raum ist.
Es könnte
sein, sagt der Verdacht, dass die meisten Kunstwerke, welche heute in diesem
Raum aufgestellt, eingerichtet werden, sich auf einen Aggregatszustand sozialer
Beziehungen, Kommunikationsformen oder Macht- und Kontrollverhältnisse berufen,
sich kurzum auf eine "Öffentlichkeit" berufen, die sich längst als
amöbenartiger Plural davongestohlen hat, ohne sich umzuschauen.
So
what...? Offensichtlich ist es dennoch möglich, aufregend in diesem Raum
aufzutreten oder einzugreifen. Im übrigen wird der Verdacht eh folgenlos
bleiben: In Zukunft wird noch wesentlich mehr Kunst im offenen Raum installiert
werden als bisher.
Nur eine
Frage lassen diese Erwägungen schliesslich doch noch offen, und diese Frage ist
absolut nicht rhetorisch gemeint: "Warum, aus welchem Grund eigentlich, sollen
wir in diesem eigenartig gewordenen Raum überhaupt Kunst einrichten ?"
Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis von Prof. Marcel
Meili
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