Aus
der Broschüre zum 4. Internationalen Steinbildhauer-Symposium
Sachsen-Anhalt, 5. Juni bis 17. Juli 1994 im Schloßgarten
Zerbst (gekürzt)
Wenn
sich eine Gruppe von Menschen zusammenfindet und nur stumm und unbeteiligt
nebeneinandersteht, dann erscheint das recht sinnlos, anders wenn
sie miteinander reden, diskutieren, parlieren, wenn sie gar reden
und miteinander arbeiten, dann sind wir der Form des Symposiums
- wenn es die Bildhauer des Verbandes Bildender Künstler Sachsen-Anhalts
verstehen - sehr nahe. Bis zu
dieser Art von gemeinsamer künstlerischer Arbeit war es aber
auch ein mehrjähriger Weg mit entsprechenden "Teststrecken".
Denn im Gegensatz zu jemandem, der es gewohnt ist, im Team zu arbeiten,
sich in einen vorgegebenen Arbeitsablauf einzufügen, Persönliches
und zu Individuelles zurück zu stellen, sind bildende Künstler
die absolute "Solo"-Arbeit gewohnt. Sie bestimmen ihren
Tages- und Lebensrhythmus im Einklang mit dem durch fast nichts
reglementierten Arbeitsrhythmus selbst. [...]
Der
Start für das befristete öffentliche Arbeiten mehrerer
Bildhauer in Sachsen-Anhalt lag 1988. Der Name "1. Bilaterales
Bildhauer-Pleinair" stand für die Beteiligten wie für
die Form gleichermaßen. Mit "bilateral" - zweiseitig
- war die Beteiligung von Bildhauern aus zwei Ländern, damals
je drei aus der UdSSR und der DDR gemeint. [...]
In einem
Beitrag in der "Freiheit" von Wolfgang Radelski im August
1988 heißt es dazu: "Pleinairs wie das in Naumburg werden
seit Jahren u. a. auch im Kombinat VEB Chemische Werke Buna und
im Mansfeld-Kombinat "Wilhelm Pieck" veranstaltet. In
ihnen werden Bündnisbeziehungen zwischen Werktätigen und
künstlerischer Intelligenz sowie zwischen den Künstlerverbänden
der sozialistischen Länder vertieft." Auch wenn einen
das Vokabularium besonders aus heutiger Sicht unangenehm berührt
und höchst phrasenhaft wirkt, so trifft trotzdem die Aussage
den Kern des damaligen Pleinairs, das trotz der wichtigen Unterschiede
so meilenweit nun auch nicht von den heutigen Symposien entfernt
ist: [...] Der zweite Aspekt .."Bündnisbeziehung"
ergab sich ganz praktisch daraus, dass es nur schlecht vorstellbar
war, dass Künstler aus den "kapitalistischen"
westlichen Ländern bei solch einem Pleinair mitmachen würden
und konnten und durften, [...] Also blieben nur die Kontakte zu
den östlichen/sozialistischen Künstlerverbänden [...]
Dann
im Sommer 1990 hat sich die Weltlage schon gravierend verändert,
das blieb naturgemäß nicht ohne Auswirkungen auf das
künstlerische Arbeitstreffen, wiederum in Naumburg. [...].
Nach "bilateral" kommt nun "international",
so der offizielle Titel, "II. Internationales Bildhauer-Pleinair",
in den regionalen Zeitungen mit Wonne gespiegelt, [...] die offenen
bzw. nicht oder kaum noch vorhandenen Grenzen machen es möglich.
[...] Teilnehmer aus Naumburgs Partnerstadt Aachen, aus Moskau
aus der Slowakei aus Naumburg selbst und aus Halle. [...] Dieselbe
Zeitung - außer dem Namen hatte sich noch nichts geändert
- die vordem das oben genannte Vokabularium verwendet, berichtet mit
ganz anderen nun allgemein gebräuchlichen Worten, [...] unter
der Überschrift "Phantasie frei entfalten": "[...]
Es sollen keine Meinungen aufgezwängt werden, die Beobachter
sollen sich aus den Darstellungen herausziehen, was für sie
wichtig ist - das Anliegen der Bildhauer". Der ehemalige Direktor
des Romanischen Hauses in Bad Kösen, Jochen Gericke, geht in
seinem Beitrag für das Naumburger Tageblatt vom 28. August
1990 noch direkter vor. Zeit, Situation, Pleinair und Vorgehensweise
der Künstler werden hier noch weitaus konkreter gespiegelt:
" Im Unterschied zum 1. Pleinair vor zwei Jahren
("Lyrik im Park") gab es dieses Mal keinerlei thematische
Vorgaben. Das gestattete natürlich manches, was vor der Wende
unerwünscht war. Igor Koslow nennt seine Figurengruppe "Grablegung",
eine Gruppe in Überlebensgröße, ein Werk mit religiösem
Hintergrund. Er möchte in seinen Arbeiten etwas vom Innenleben
ausdrücken. Die aufgesetzte neo-russische Pathetik in der Plastik,
in unserer Noch-DDR leider mehrfach präsent, ist ihm zutiefst
zuwider. Im Inneren bewegt ihn die Not der Menschen, ganz gleich
in welchem Land der Erde. Ihre "Frau mit Koffer" will
die zierliche Stefanie Weskott direkt auf einen Betonbahnsteig der
Straßenbahn vor den Bahnhof gesetzt wissen. "Ohne Sockel",
das ist ihr sehr wichtig. Aktueller Gedanke ist für sie dabei
nicht nur die Reisefreiheit, sondern genauso das scheinbar nie endende
Flüchtlingsproblem. Tibor Szilagyi hat einen "Aufschrei"
in Stein gebannt, so auch der Titel der Skulptur, Zeichen des
Aufbegehrens gegen jede Art von Kommandowirtschaft. [...]
Die
Zeiten haben sich geändert, das ist auch in diesem Bericht
unverkennbar. Aber was gleichermaßen unverkennbar ist - auch
die aufwendige und nur mit Bedacht und langsam anzufertigende Plastik
spiegelt, trotz mancher Allgemeingültigkeit, auf erstaunliche
Weise direktes Zeitgefühl. Ein Gefühl, das sich zwangsläufig
z.B. in dieser Zeit auf völlig unterschiedliche Weise bei einem
Deutschen, einem
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Russen oder einem Slowaken in Abhängigkeit
von der eigenen Situation, den momentanen Gegebenheiten seines geschichtlichen
Umfeldes, möglicherweise nationalen Besonderheiten, künstlerischen
Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen äußert.
Der
dritten Bildhauerbegegnung im nunmehrigen Bundesland Sachsen-Anhalt
stand nun nichts mehr im Wege; aber auch die Bedingungen, Möglichkeiten
und Anforderungen, die schon 1990 in der Veränderung waren,
hatten sich nun für 1992 grundlegend gewandelt. Neu war u.a.
die Ausschreibung des Ortes für das geplante Symposium. [...]
Unter anderem ging es auch um einen nicht unbeträchtlichen
finanziellen Anteil, den die ausgewählte Gemeinde für
die Durchführung des Symposiums aufbringen muss; [...] Bad
Kösen bekam letztlich den Zuschlag [...]. Das "3. Internationale
Steinbildhauer -Symposium" verband Künstler aus fünf
Ländern [...]. Der "internationale Blick" auf das
neue Deutschland hatte auch die Künstler in aller Welt neugierig
gemacht, [...]. Wenn dieses Symposium vordem trotz Ausschreibung
und Informationen international noch nicht so bekannt geworden war,
so änderte die Kösener Veranstaltung das mit einem Schlage.
Die Gründe dafür lagen in der Spannweite und der Internationalität
der Teilnehmer, der sehr aufmerksamen Begleitung des Symposiums
in den Medien, der großen Aufgeschlossenheit sowie dem hilfreichen
Handeln der Stadtverwaltung Bad Kösen und der hohen künstlerischen
Qualität der entstehenden bzw. entstandenen Skulpturen. Bad
Kösen hat nach den "Vorbereitungen" Naumburg I und
II wohl den Durchbruch gebracht, daran hatte auch das ständige
Gespräch zwischen den beteiligten Künstlern und der Bad
Kösener Bevölkerung einen nicht unbeträchtlichen
Anteil. [...] Zerbst erlebte nun 1994 das "4. Internationale
Steinbildhauer-Symposium". [...] Deutschland steht momentan
nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt des Weltinteresses, die Umbruchzeiten
- zumindest die von außen erkennbaren - sind weitgehend vorbei.
Doch das Steinbildhauer-Symposium in Sachsen-Anhalt ist zu einer
"Institution" innerhalb der internationalen Kunstszene
geworden und [...] für
ein funktionierendes Beispiel der Internationalisierung der Kunst,
auch für die Ziele öffentlicher Kunstförderung. [...] Die
Saat von Bad Kösen war aufgegangen. [...] Dass
Zerbst schließlich den Zuschlag bekommen hatte lag [...] auch
daran, dass schnell ein auffallend intensives Engagement der Stadtverwaltung
sowie des Stadtparlaments unter Einbeziehung der regionalen Wirtschaft
und der Vereine und Verbände erkennbar wurde. Noch mehr als
in Bad Kösen sollte sich das auch direkt auf den Ablauf des
gesamten Symposiums auswirken. [...] Bei
der hohen Bewerberzahl - 80 Bildhauer - war eine Auswahl unter guten
und anspruchsvoll arbeitenden Bildhauern möglich. [...] Neben
der wesentlich größeren öffentlichen Resonanz, die
das Symposium in Zerbst gefunden hat, gab es noch einige Unterschiede,
die m. E. für die Weiterentwicklung stehen. Dazu gehört
ohne Frage das Vorbereiten der Standort der Plastiken in Zerbst.
[...] wesentlich
mehr als nötig waren, um den Künstlern Wahlmöglichkeiten
zu lassen. [...]
Im Ergebnis
dieses Symposiums wird vielleicht bewußt, welche Möglichkeiten
für den Einsatz von Kunst über die direkte Zuordnung zum
Bau in der Öffentlichkeit bestehen: Ansporn für die Künstler
[...]
und Anregung für die "öffentliche Hand", aber
auch private Bauherren gleichermaßen steckt dahinter. [...] Längst
ist der Begriff "Kunst am Bau" durch die wesentliche weitere
Formulierung "Kunst im öffentlichen Raum" ersetzt
worden. Hier lassen sich auch die Steinplastiken der sachsen-anhaltinischen
Symposien einordnen. [...] In
jedem Fall geht es um vom Menschen gestaltete, manchmal verunstaltete
und wieder zu hebende Landschaft in Verbindung von Architektur,
Kunst und öfter Natur. Um die "Kunst im öffentlichen
Raum" - nicht als notgedrungenes Beiwerk, sondern als Teil,
sei es im Kontrast oder als Einheit verstanden - kann sich keiner
drücken, der Lebensumwelt in seiner Menschlichkeit anstrebt.
So wie die Denkmalpflege ihren Anteil daran hat, gehört die
öffentliche Kunst zur Findung oder zur Bestätigung der
eigenen Idendität dazu. [...]
Das
Symposium 1994 in Zerbst ist abgeschlossen. Was bleibt sind gelungene
anspruchsvolle und schöne Skulpturen von Künstlern aus
verschiedenen europäischen Ländern in einer kleinen Stadt
Sachsen-Anhalts, die sich diese Stadt ohne das Symposium nie hätte
leisten können, [...] Die
Entfernung von Naumburg bis Zerbst ist in Kilometern gemessen sicher
gering, aber der geistig-praktische Weg vom "1. Bilateralen
Bildhauer Pleinair" 1988 bis zum " 4. Internat. Steinbildhauer-Symposium"
1994 erforderte Zeit, Überlegung, Erfahrung, Kraft, Engagement,
den Willen zur Fortführung und schließlich Geld. Man
kann nur allen daken, die das alles aufgebracht haben. Sicher
gibt es noch manche Überlegungen dazu, was man im einzelnen
noch verändern könnte. Doch an dem Gesamtkonzept sollte
man festhalten. [...]
Halle,
im Juli 1994 Übernahme des Textes mit freundlicher
Erlaubnis von Dr. Hans-Georg Sehrt 
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