- Vom Sein und Schein -
Erst stand ich etwas ratlos
vor dieser Skulptur. Wer ist dieser milde Mann? Was möchte er mir sagen?
Ist er ein barhäuptiger Schäfer ohne den typischen Hut? Wieso hat auch sein
Stab keine Schippe sondern eher eine Speerspitze? Wieso steht neben seinem
rechten Bein kein Hütehund, sondern eher ein eigenartiges Krokodil, etwa ein Drache?
Wieso spreizt der "Schäfer" ängstlich seine rechte Hand? Besteht ein
Zusammenhang mit dem Wohnhaus, vor dem er steht?
Fast wäre ich meinem Unwissen zum Opfer gefallen. Aber
nach kurzem Überlegen glaubte ich, in dem Werk eine recht komische Darstellung des Drachentöters Georg
erkennen zu können.
Als Vorname, Name für Orte und Berge, auf Wappen, Kirchenfenstern, Brunnen,
Bildstöcken, an Hausfassaden, selbst auf Goldmünzen kennen wir Georg seit
etlichen Jahrhunderten. Stets ist er Heldengestalt, Drachentöter und meist hoch zu Ross.
So kennen wir ihn aus Märchen und Sagen vieler Kulturkreise
und natürlich als häufiges Motiv vieler Gemälde. Doch wirkt er nie so friedfertig wie in
dieser Skulptur.
In Zeiten täglicher Entlarvung von Steuerhinterziehern,
von Rappern
als Mafiosi, Politikern als Plagiatoren und Sittlichkeitsstrolchen,
wird nun gar der Drachentöter Georg als friedlicher Schäfer decouvriert?
Dass sein Künstler von Dürers Kupferstich die
Spreizung der Hand und die vom Drachen
umschlungenen Beine abgekupfert hat, wäre heute keine
Sensation mehr.
------------------------------------------ Standort:
Stuttgart-West, Gutenbergstraße Künstler,
Titel, Entstehungsjahr: unbekannt
Weitere
Darstellungen zu "Georg" als Heiliger
und Drachentöter: Commons-Wikimedia
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Hatte Georg in seiner innersten Seele den Gedanken "Schwerter zu
Pflugscharen" zu machen, den Wunsch, die Welt zu befrieden? - Schon wollte
ich den unbekannten Künstler zu einer sensationellen
Entdeckung beglückwünschen. - Aber
nein!
Als Schutzheiliger manch unkriegerischer
Berufsgruppen geniest er noch heute einen guten Ruf.
Von einer weiteren Rolle, die ihm zugeschrieben wird, hatte ich jedoch keine
Ahnung:
Georg, der römische
Offizier, als christlicher Märtyrer enthauptet, ist auch einer der 14 Nothelfer. Er ist Helfer bei Kriegsgefahren,
bei Fieber und Pest, Helfer gegen allerlei Versuchungen, Helfer für gutes Wetter
und Beschützer der Haustiere. Geht
es noch friedlicher? - Und wenigstens an einer niederländischen Kirchenfassade konnte
ich auch einen solchen friedlichen Georg entdecken. -
Über Jahrhunderte waren diese Legenden
und Geschichten geläufiges Wissen. Ikonografie, Bildsymbolik
waren im Volksglauben tief verwurzelt. Das hat sich längst geändert. Und so
erfassen wir heute oft nur einen Teil dessen, was wir sehen.
(Sicher haben Sie längst bemerkt, wie mühsam ich bei Wikipedia recherchiert
habe. Für alle Erklärungen und Bilder habe ich einige Stunden gesucht.)
Mein Wissen war nur Schein, dürftiges Halbwissen. Entlarvt wurde ich selbst.
- Dem Künstler sei's gedankt! -
Bilder: links:
ehauff, 04/2013 rechts: Albrecht
Dürer, Der Heilige Georg zu
Fuß, 1502/03, - (Commons
Wikimedia)
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