Lohme (OZ) Still kauert sie an der rügenschen
Kreideküste. Vielleicht hält sie die Arme um ihre Schenkel geschlungen,
ruht in sich selbst und schaut verzückt aufs Meer hinaus. Vielleicht ist
es aber auch ein verwitterter Buchenstamm oder ein vom Wind deformierter
Gesteinsbrocken. Die Rede ist von der Bronzeplastik "Großer Einblick",
die seit Sonnabend an der Steilküste im Hafen von Lohme auf Rügen steht.
Sie ist ein Geschenk des Bildhauers Prof. Wieland Förster an die Insel
- eine Liebesgabe. Und ein Gruß von einem, der
angekommen ist. In
wenigen Monaten begeht Wieland Förster seinen 70. Geburtstag, ein Datum,
bei dem der Mensch unwillkürlich beginnt, sein Leben zu ordnen. Manch
einer verteilt schon sein Erbe an die Kinder. Reinen Tisch machen, bevor
man geht. Wieland Förster scheint etwas anderes zu treiben. Er sagt:
"Diese Plastik ist mir so wichtig, weil ich wirklich angekommen bin, bei
Baum und Fels" - und vielleicht auch bei sich
selbst. Was ihn
fasziniert, ist Kraft - Widerstandskraft und
Überlebenskraft. Spätestens seit seiner Tunisreise 1967 wurde ihm bewusst,
dass Gewalt etwas ist, was überall herrscht. Da sah er die fast 2000
Jahre alten Olivenbäume auf Djerba und die Strukturen der Wüstenfelsen.
Das war sein Urerlebnis. Und
Rügen? Rügen hat Tunis untergraben. Wieland Förster kam einst in das
verschlafene Dörfchen Vilmnitz, um sein Reisetagebuch über Tunis zu
überarbeiten. Da entdeckte er die Ähnlichkeiten beider Landschaften: "Der
Weidenweg von Freetz ist die nordische Analogie zum Ölbaum". In den
Jahren zwischen 1964 und 1971 weilte er immer wieder in Göhren und
Vilmnitz. In seinem Rügentagebuch findet sich der bemerkenswerte Satz:
"Ein Zurückkehren wäre erst dann sinnvoll, wenn die Zeit die
Vorstellungen gelöscht, wenn die Begegnung die Kraft der Wiederentdeckung
hat". Selten
erlebt man einen Menschen, der so überzeugend die Freude über das
Älterwerden vermittelt, wie es Wieland Förster vermag. Doch bis diese
Gelöstheit entstehen konnte, bedurfte es eines langen Weges. Plastiken
dieses Künstlers werden in erster Linie mit Darstellungen von gequälten,
gefangenen oder getöteten Menschen verbunden. Als in den Medien Anfang
der neunziger Jahre seine nähere Lebensgeschichte bekannt wurde, geriet
er schnell in die Schublade "Therapeutische Vergangenheitsbewältigung":
Da ist einer, der mit seinem Schicksal nicht fertig wird. Obwohl Förster
schon genug am Eigenen zu tragen hatte. Trotzdem reichten seine Werke den
sozialistischen Ideologen nicht aus. "Wegen des gänzlichen Mangels an
politisch-gezielter Opferbestimmung und sieghaftem Pathos" verschwanden
die Plastiken in Depots und Hinterhöfen. Dabei hat sich Förster mit all
seinen Figuren nicht einfach nur frei gearbeitet. Seine Leidenden
schreien deutlich hinaus, dass es keinen Sturm gibt, der sie zerstört.
Diese Leidenden sind immer schon Bäume und Felsen gewesen.
|
|
 Der
Berliner Bildhauer Prof. Wieland
Förster (l.) und Dr. Ulrich Müller vom Stralsunder Kreis der
Grafikfreunde.
 Die Bronzeplastik "Großer Einblick"
steht jetzt in Lohme.
Fotos:
B.A. ---------------------------------------- Seit
28 Jahren bewahrt Wieland Förster den Traum von Rügen im Herzen. "Die
Insel hat mir soviel geschenkt an Stille, an Ruhe, und wenn es nur diese
optische Brücke zu Friedrich war." Rügen als Touristenland will er sich
nicht vorstellen. Er wäre nicht auf die Insel gekommen, wenn es nicht das
technische Verfahren der Aufstellung seiner Plastik verlangt hätte. Fast
zwei Jahre suchte Försters Freund Dr. Ulrich Müller vom Stralsunder Kreis
der Grafikfreunde auf der Insel nach einem Standort. In Lohme wurde sie
von der Gemeinde gern aufgenommen. Zufrieden resümiert Wieland Förster:
"Es ist genau der richtige Ort. Der einzig mögliche Ort in diesem
Raumgefüge. Der Torso öffnet sich dem Meer. Es ist, als sei er dafür
gemacht worden".
Von BEA AROLD
 ©
1999-2000, Alle Rechte vorbehalten
|