Dienstag, 19. Oktober 1999

Eine Plastik als Geschenk

Bildhauer Wieland Förster übergab Werk der Insel Rügen


Lohme
(OZ) Still kauert sie an der rügenschen Kreideküste. Vielleicht hält sie die Arme um ihre Schenkel geschlungen, ruht in sich selbst und schaut verzückt aufs Meer hinaus. Vielleicht ist es aber auch ein verwitterter Buchenstamm oder ein vom Wind deformierter Gesteinsbrocken. Die Rede ist von der Bronzeplastik "Großer Einblick", die seit Sonnabend an der Steilküste im Hafen von Lohme auf Rügen steht. Sie ist ein Geschenk des Bildhauers Prof. Wieland Förster an die Insel   -   eine Liebesgabe. Und ein Gruß von einem, der angekommen ist.
In wenigen Monaten begeht Wieland Förster seinen 70. Geburtstag, ein Datum, bei dem der Mensch unwillkürlich beginnt, sein Leben zu ordnen. Manch einer verteilt schon sein Erbe an die Kinder. Reinen Tisch machen, bevor man geht. Wieland Förster scheint etwas anderes zu treiben. Er sagt: "Diese Plastik ist mir so wichtig, weil ich wirklich angekommen bin, bei Baum und Fels"   -   und vielleicht auch bei sich selbst.
Was ihn fasziniert, ist Kraft - Widerstandskraft und Überlebenskraft. Spätestens seit seiner Tunisreise 1967 wurde ihm bewusst, dass Gewalt etwas ist, was überall herrscht. Da sah er die fast 2000 Jahre alten Olivenbäume auf Djerba und die Strukturen der Wüstenfelsen. Das war sein Urerlebnis.
Und Rügen? Rügen hat Tunis untergraben. Wieland Förster kam einst in das verschlafene Dörfchen Vilmnitz, um sein Reisetagebuch über Tunis zu überarbeiten. Da entdeckte er die Ähnlichkeiten beider Landschaften: "Der Weidenweg von Freetz ist die nordische Analogie zum Ölbaum". In den Jahren zwischen 1964 und 1971 weilte er immer wieder in Göhren und Vilmnitz. In seinem Rügentagebuch findet sich der bemerkenswerte Satz: "Ein Zurückkehren wäre erst dann sinnvoll, wenn die Zeit die Vorstellungen gelöscht, wenn die Begegnung die Kraft der Wiederentdeckung hat".
Selten erlebt man einen Menschen, der so überzeugend die Freude über das Älterwerden vermittelt, wie es Wieland Förster vermag. Doch bis diese Gelöstheit entstehen konnte, bedurfte es eines langen Weges.
Plastiken dieses Künstlers werden in erster Linie mit Darstellungen von gequälten, gefangenen oder getöteten Menschen verbunden. Als in den Medien Anfang der neunziger Jahre seine nähere Lebensgeschichte bekannt wurde, geriet er schnell in die Schublade "Therapeutische Vergangenheitsbewältigung": Da ist einer, der mit seinem Schicksal nicht fertig wird. Obwohl Förster schon genug am Eigenen zu tragen hatte. Trotzdem reichten seine Werke den sozialistischen Ideologen nicht aus. "Wegen des gänzlichen Mangels an politisch-gezielter Opferbestimmung und sieghaftem Pathos" verschwanden die Plastiken in Depots und Hinterhöfen. Dabei hat sich Förster mit all seinen Figuren nicht einfach nur frei gearbeitet. Seine Leidenden schreien deutlich hinaus, dass es keinen Sturm gibt, der sie zerstört. Diese Leidenden sind immer schon Bäume und Felsen gewesen.

 


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Der Berliner Bildhauer Prof. Wieland Förster (l.) und Dr. Ulrich Müller vom Stralsunder Kreis der Grafikfreunde.

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Die Bronzeplastik "Großer Einblick" steht jetzt in Lohme.

Fotos: B.A.
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Seit 28 Jahren bewahrt Wieland Förster den Traum von Rügen im Herzen. "Die Insel hat mir soviel geschenkt an Stille, an Ruhe, und wenn es nur diese optische Brücke zu Friedrich war." Rügen als Touristenland will er sich nicht vorstellen. Er wäre nicht auf die Insel gekommen, wenn es nicht das technische Verfahren der Aufstellung seiner Plastik verlangt hätte. Fast zwei Jahre suchte Försters Freund Dr. Ulrich Müller vom Stralsunder Kreis der Grafikfreunde auf der Insel nach einem Standort. In Lohme wurde sie von der Gemeinde gern aufgenommen. Zufrieden resümiert Wieland Förster: "Es ist genau der richtige Ort. Der einzig mögliche Ort in diesem Raumgefüge. Der Torso öffnet sich dem Meer. Es ist, als sei er dafür gemacht worden".
                                     
Von BEA AROLD

 

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