Neue Osnabrücker Zeitung
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online Feuilleton (Archiv) 15.09.2004
"Mahnmal
gegen Verbohrtheit"
von Tom Bullmann,
Osnabrück
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"Denkt, was ihr wollt: Rainer Kriesters Großer
Nagelkopf lässt dazu Spielräume".
Foto: Michael Hehmann
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Es ist schon verwunderlich, dass um diese Skulptur kein Zaun errichtet wurde:
Aus einem kopfähnlichen Gebilde ragen riesige Nägel, die den Eindruck machen,
als könnten sie bei Berührung gravierende Verletzungen hervorrufen. Geht man allerdings
näher heran, stellt man fest, dass die überdimensionalen Nägel nicht wirklich
spitz sind. Dennoch werden sie offenbar als gefährlich wahrgenommen: Manch
ein Fußgänger macht einen respektvollen Bogen um die Bronze. Einige Passanten
bleiben stehen und scheinen über die Plastik nachzudenken. Nur Kinder gehen
unbefangen mit dem Kunstwerk um - und benutzen es als Klettergerät.
"Großer Nagelkopf" nannte der in Berlin und Italien arbeitende Bildhauer
Rainer Kriester sein Werk, das 1991 erstmals in Osnabrück aufgestellt wurde.
Damals wurden 23 Werke zeitgenössischer Bildhauer zu einem Skulpturenpfad
zusammengefasst, der vom Dominikanerkloster über das Hegertorviertel bis zum
Kulturgeschichtlichen Museum führte. Auf eine Idee des Osnabrücker
Kunstprofessors Rainer Hagl zurückgehend, hatten die Kulturverwaltung und der
Osnabrücker Galerist Klaus Reincke die Initiative ergriffen und die
ambitionierte Freilichtausstellung realisiert. Schon ein Jahr später stand
fest, dass der martialisch anmutende Kopf Kriesters eine Heimat vor dem
ehemaligen Dominkanerkloster finden sollte, denn die Stadtsparkasse erwarb
Kriesters Skulptur und übergab sie als Dauerleihgabe der Stadt - auf dass sie
in Zukunft als Markenzeichen für die zur Kunsthalle umgewidmete
säkularisierte Kirche fungiere.
Der an archaische Formen wie die Kopfstatuen auf den Osterinseln erinnernde
"Nagelkopf", so hatte der Künstler während der feierlichen Übergabe
erklärt, sei eine Metapher für die "Verbohrtheit" von Menschen.
Gleichzeitig wird der Betrachter gewahr, dass jemand, der so
"vernagelt" ist, auch vor Schmerz schreien müsste. Der verzerrt
geöffnete Mund schreit es heraus. Außerdem leitet der Künstler die
Assoziationskette in Richtung Gewalt und Folter - ein hochbrisantes Thema. So
wird die Skulptur vom Markenzeichen zum Mahnmal gegen Terror und
Engstirnigkeit. Gleichzeitig meinte der mittlerweile verstorbene Künstler
aber auch, dass man sich bei der Interpretation seines Werks auf keinen Fall
einengen lassen sollte. "Denkt, was ihr wollt", soll Kriester
während der Übergabe der mannshohen Bronzefigur gesagt haben.
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