Landschaftskunst: Eine ungewöhnliche Freiluft-Ausstellung auf Langeland in
Dänemark
Bis vor einiger Zeit war Tranekår nichts weiter als ein ganz kleiner Punkt auf der
dänischen Landkarte. Ein Örtchen beschaulicher Bedeutungslosigkeit. Das könnte
sich ändern - in erster Linie dank der Beharrlichkeit von Alfio Bonanno. Denn
der ist Ideengeber, Projektleiter und Motor eines bislang einmaligen
Kunstereignisses in Dänemark. Verwirklicht ist es in eben jenem Tranekår, das
ziemlich genau in der Mitte von Langeland liegt und bislang im Dornröschenschlaf schlummerte.
In den siebziger Jahren, als der gebürtige Sizilianer Bonanno seine Zelte in
Dänemark aufschlug, träumte er bereits von einem Kunstpark. Er hatte die Vision
von Kunst, die lebt, die in einen Kreislauf eingebunden ist, die, wie alles
Natürliche, dem Prozess von Entstehen und Vergehen unterworfen ist. In seinen
eigenen Werken hat sich der Maler und Gestalter besonders der Arbeit mit und in
der Natur zugewandt. Seine Materialien sind zum größten Teil rein organisch und
damit zu fast hundert Prozent biologisch abbaubar.
Schon in den sechziger Jahren war die so genannte Land-Art, Landschaftskunst,
ein Sujet moderner Gestalter, die auszogen, monumentale Gebilde in die
Landschaft zu setzen, oftmals ohne dabei auch nur einen Funken Sensibilität für
dieselbe zu zeigen.
Für Alfio Bonanno ist Naturkunst und Kunst in der Natur eine logische Konsequenz. "Wir sind Natur, Natur, das sind wir". So einfach sieht er das, und
genau das kann Kunst in seinen Augen ausdrücken. Nur es brauchte viele Jahre
und lange Überzeugungsarbeit, den Plan umzusetzen. Am Ende hat ein glücklicher
Zufall geholfen, die Idee von Kunst mit und in Natur zu realisieren.
Unübersehbar bildet das rote Schloss in Tranekår den Mittelpunkt der kleinen
Gemeinde. Besitzer der herrschaftlichen Behausung ist Graf Preben
Ahlefeldt-Laurvig, Spross einer Familie, die seit Generationen für einen
sensiblen Umgang mit der Natur entstand und ein besonderes Interesse für schöne
Dinge pflegte. Diese Tradition setzt der Graf fort. Begeistert von der Idee
eines Kunstparks, überließ er kurzerhand sechzig Hektar seiner Grünanlagen für die
Errichtung der Freiluft-Dauerausstellung. Das war im Jahr 1990. Eher unsanft
wurde das malerische Nest in den folgenden Monaten und Jahren aus seinem
Dämmerzustand gerissen. Eine Armada schwerer Räumfahrzeuge und Lastwagen
erschütterte die Idylle. Die Einwohner nahmen es gelassen und legten zum Teil
selbst helfend Hand an. Schließlich ging es darum, ihre Stadt internationaler
Bedeutsamkeit entgegenzuführen.
Bonannos Traum war im Begriff, Wirklichkeit zu werden. TICKON, das steht für
Tranekår Internationales Zentrum für Kunst und Natur, brach sich Bahn. Dank
seiner weltweiten Kontakte hatte der italienische Wahldäne eine Riege
bedeutender Gestalter aus aller Welt für seine Idee gewinnen können. Seit der
offiziellen Eröffnung im Jahr 1993 haben bis heute vierzehn Künstler ihre
Spuren auf vielfältige Weise hinterlassen. Zu den bekanntesten Vertretern der
Land-Art zählen neben dem Briten David Nash sein Landsmann Andy Goldsworthy und
der Amerikaner Patric Dougherty. Die starke Präsenz der Engländer erklärt sich
dadurch, dass Großbritannien traditionell zu den Vorreitern der
Landschaftskunst gehört. Aber auch aus Griechenland, Finnland, Frankreich,
Holland und Deutschland kamen die Akteure angereist, um ihren Beitrag an dem
Projekt zu leisten. Die Herkunft der Künstler ist so unterschiedlich wie ihre
Werke. Eines ist jedoch allen gemein: Die Umsetzung des Gedankens von Lebenszyklen, die Auseinandersetzung mit Kunst in der Natur wurden äußerst bewusst
und sensibel realisiert. Dialog tritt an die Stelle von Design. Die Kunstwerke
drängen sich nicht auf, sie fügen sich ein, bilden eine Symbiose. Kunst bekommt
eine andere Dimension. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Sie ist
dreidimensional, lebensecht.
Fern jeder musealen Sterilität, fern jeder Alarmanlagen gesicherten Abgeschiedenheit, die eine zwangsläufige Distanz zwischen Werk und Betrachter
bildet, stehen die Exponate auf der freien Wiese, im Wald, am Feldrand,
überall. Sie sind sich selbst überlassen, Wind und Wetter ganz bewusst
schutzlos ausgesetzt. Schließlich käme auch niemand auf die Idee, einem Baum
einen Regenschirm zu geben. Ebenso wie dieser Baum, jener Strauch sind die
Objekte in einen Kreislauf integriert. Manche werden sich mit den Jahren und
Jahreszeiten verändern, einige werden zerfallen, und wieder andere bestehen nur
für wenige Augenblicke. Lange genug für ein Photo, um dann wieder vom Winde
verweht zu werden.
Die Initiatoren des Kunstparks verstehen ihre Arbeit als Angebot, als Denkanstoß und vor allem, das soll dem Ganzen von Anfang an die Polemik nehmen,
als Spielart. Es ist durchaus erlaubt, in und mit Natur zu spielen, die
Picknickdecke auszubreiten und die Kunst auch einfach mal Kunst sein zu lassen.
Ebenso ist es erlaubt, zu experimentieren, solange das Ergebnis keinen destruktiven Charakter annimmt.
Es mag dem klassischen Ewigkeitswert und der vermeintlich dokumentarischen Aufgabe von Kunst entgegenstehen, bewusst etwas zu gestalten, dessen
Lebensdauer begrenzt und somit der Nachwelt vorenthalten ist. Dennoch ist genau
das ein wesentlicher Gedanke. Die Künstler waren nicht in erster Linie darauf
erpicht, mit ihren Objekten den eigenen Fingerabdruck zu hinterlassen, sondern
oft war gerade die Erfahrung des Augenblicks entscheidend. "Überleben" werden
diese Momentaufnahmen auf Bildern. Einige Künstler haben ganze Tage damit
verbracht, etwas zu schaffen, das lediglich für einen Belichtungsmoment
erhalten blieb.
Zu diesen gehörte der Brite Andy Goldsworthy. In akribischer Kleinarbeit hat er
ein großes Blatt einer Wasserlilie mit unzähligen roten Mohnblütenblättern
umwickelt. Damit diese äußerst zarten Blättchen überhaupt hielten, musste er
sie mit Wasser befeuchten. Ein Aufwand, der ein Höchstmaß an Geduld erforderte.
Nach etlichen Stunden prangte schließlich ein einziges knallrotes Wasserlilienblatt
zwischen dem Grün. Ein schnell geschossenes Photo, ein Windstoß - und Hunderte
roter Mohnblüten wehten auf Nimmerwiedersehen davon.
Andere wieder, wie der deutsche Künstler Herman Prigann haben in der Tat
Dokumente für viele kommende Generationen gestaltet. Kontemplationshügel heißt
sein Beitrag. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein etwas grob behauenes
Amphitheater. Prigann hat in einer Senke am Waldrand Natursteine aller Formen
und Größen kreisförmig zu einem Hügel aufgeschichtet, ein stilles Refugium.
Eines der am wenigsten spektakulär wirkenden Werke, dafür aber umso
vieldeutiger, sind die Sheep Spaces von David Nash. Seit vielen Jahren ist Nash
einer der meistbeachteten Vordenker und Akteure internationaler Land-Art.
Inmitten einer Gruppe uralter Bäume haben die gräflichen Schafe schon seit
Jahrzehnten ihre Residenz. Hier wohnten sie, als noch kein Mensch an die touristische oder künstlerische Bedeutung des Parks dachte. An diesen Bäumen
rubbeln sie sich schon immer die Pelze und hinterlassen neben Wollfusseln vom
Lanolin blank gescheuerte Borken.
Nash beweist nun, dass Kunst nicht zwingend den Anspruch hat, höheren Weihen zu
dienen. Er zersägte kurzerhand die Reste einer gefällten alten Eiche und
stellte die halbierten Quader in beliebiger Weise zwischen den Bäumen auf. Den
Rest erledigen seither die Schafe. Ohne jeden erkennbaren künstlerischen
Anspruch nahmen sie das Geschenk an und kratzen sich hingebungsvoll an den
Stücken. Ganz nebenbei produzieren sie dabei glänzende "Holzdrucke".
Sind die Schafe damit nun Künstler? Wohl kaum. Ist das überhaupt Kunst? Im
Sinne einer Symbiose, so wie sie Bonanno vorschwebt, sind die Sheep Spaces Kunst in höchster Vollendung: integrativ, sensibel, spielerisch und friedlich.
Neues wurde aus Altem geschaffen, Gestorbenes mit neuem Sinn belebt. Man kann
diesen Sinn suchen, wenn man will, Erkenntnisse gewinnen, wenn man will. Man
kann aber auch, und das macht es vielleicht für die kleinen Besucher angenehm,
mitten zwischen Kunst Fußball spielen oder Eis essen.
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