Zum Tode des Plastikers Eduardo Chillida                                                                      Zurück

Ein sensibler Meister für Balance und Dialog



Klein, bescheiden, aber in unglaublich quirliger Konzentriertheit bei der Begutachtung und Diskussion von Orten für mögliche Arbeiten, so ist der Künstler dem Verfasser bei den Berlin-Besuchen 1998 begegnet. Dabei ging es um die Realisierung eines Werkes für die Regierungsbauten in der Hauptstadt. So als ob er ständig weit ausgreifende, imaginäre Fühler einsetzen würde, wurde er den spezifischen Situationen an den in Aussicht genommenen Standorten rasch gewahr. Die Gewichte und Eigentümlichkeiten der Plätze schnell erfassend und abwägend, entschied er sich schon nach wenigen Diskussionen mit den ihn begleitenden Familienmitgliedern, allen voran seiner Frau, gegen den gleichfalls angeregten Innenhof des neuen Auswärtigen Amtes und für den Platz vor dem Bundeskanzleramt. Mit dem ihm eigenen, im Laufe der Jahre zugewachsenen treffsicheren Gespür legte Eduardo Chillida recht unspektakulär die Grundlage für die Realisierung seiner letzten monumentalen Plastik.

Der Weg von den ersten Anfängen bis hin zu seinen letzten Schaffenshöhepunkten begann mehr unkoordiniert als mühsam. 1924 im baskischen San Sebastián geboren, schickten ihn die Eltern beim Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges 1936 nach Paris. In der Zeit zwischen 1943 und 1947 versucht Chillida sich im Studium der Architektur in San Sebastián und Madrid. Ab 1947 nimmt die Kunst überhand: Das Studium wird aufgegeben, erste bildhauerischen Arbeiten entstehen. 1948 erfolgt der erneute Umzug nach Paris. 1949 wird erstmals auf dem Pariser Salon de Mai mit der Skulptur "Forma" ein Werk von ihm vorgestellt. Im darauffolgende Jahr zeigt die Pariser Galerie Maeght im Rahmen einer Ausstellung abermals zwei Werke. 1951 nimmt Chillida seinen endgültigen Wohnsitz im Baskenland, reist aber regelmäßig nach Paris, wo er mit Hilfe der Galerie Maeght im Laufe der 1950er Jahre den Durchbruch schafft.

Im Baskenland erlernt er in Schmieden den Umgang mit Eisen und Stahl. Der Grundstein für seine späteren Arbeiten ist gelegt, auch wenn er zunächst überwiegend Collagen, Zeichnungen und Lithographien mit den ihm eigenen Volumina vortäuschenden, raumbildenden Flächen und Formen fertigt. Marksteine auf dem weiteren Weg zum Erfolg stellen die Verleihung des großen Preises für Skulptur auf der 29. Biennale in Venedig 1958 dar, der im darauf folgenden Jahr die Einladung zur Documenta folgt. Die ersten entscheidenden Schritte zur weltweiten Beachtung und Anerkennung in Deutschland sind damit getan. Die 1968 erfolgte Präsentation von allein 14 Werken auf der Kasseler Documenta, an der er allein viermal teilnimmt, demonstriert seinen unaufhaltsamen Weg in die Weltelite der Kunst. Alle namhaften Auszeichnungen und Preise werden ihm in den Folgejahren zuteil. Ehrungen, Auszeichnungen und globale Anerkennung tragen zum ungeahnten Aufstieg in die Gruppe der Spitzenplastiker bei.

Der Schlüssel im Schaffen Chillidas ist sein unübertroffenes Talent, Bezug nehmend auf diverse Situationen oder Orte nach intensivem Ringen die bestmöglichen Formen zu finden und sie eindrucksvoll auszuprägen. Dabei steht die Begabung im Mittelpunkt, Unbegreifliches, im Verborgenen wohnende Kräfte in seinen Kunstwerken fühlbar zu artikulieren. Seine Kunst ist offensiv darauf angelegt, zu fragen, zu erwägen, zum Nachdenken anzuregen. Menschliche Zustände, Gefühle der Geborgenheit, Sehnsucht nach dem wesentlichen Gehalt bestimmen seine zeitlosen Werke. Dies alles spielt sich in einem überschaubaren Rahmen ab. Sprünge im Werkschaffen sind unbekannt. Das Neue entwickelt sich allein aus der Masse des Vorangegangenen.

Zu Deutschland entwickelte sich ein besonderes Verhältnis. Lebenslang war Chillida ein Bewunderer deutscher Kultur. Seine Wertschätzung für deutsche Dichter, Denker und Musiker schlug sich in zahlreichen Arbeiten nieder. Bach, Goethe, Novalis erfuhren so auf plastische Weise Würdigungen. Die Großplastik "La casa de Goethe", eine Betonarbeit in der Taunusanlage in Frankfurt am Main aus dem Jahr 1986, ist in diesem Zusammenhang wohl die am meisten zitierte und beeindruckendste Ausprägung. Filigrane, komplizierte Umschließungen freier, spirituell anmutender Räume, die kunstvolle Leere bilden auch hier wieder die Charakteristika.

Neben den zahlreichen Ausstellungen, so den Retrospektiven 1981 in der Hannoveraner Kestner-Gesellschaft oder 1991 im Berliner Gropius-Bau ist er in Deutschland wie in kaum einer anderer Gegend der Welt mit einer stattlichen Anzahl von Werken vertreten. "Gruß an Heidegger" ist ein weiteres Werk aus dem Jahr 1994 in Frankfurt betitelt. In der Bonner Innenstadt, auf Schloss Moyland bei Kleve, auf der Insel Hombroich bei Neuss, in Düsseldorf an prominenter Stelle vor dem Dreischeiben-Hochhaus, in Duisburg, München und Berlin stehen seine Werke im öffentlichen Raum. Zu den Hauptwerken zählt das Denkmal für den westfälischen Frieden im Münsteraner Rathaushof. "Dialog - Toleranz", so die Bezeichnung, stellt eine zweiteilige abgewinkelte Bodenplastik dar. Die zwei Bänke mit unterschiedlich durchbrochenen Rückenlehnen erinnern unmittelbar neben dem Friedenssaal im Rathaus an die sich hier einst gegenübersitzenden streitenden Parteien, die zusammengekommen waren, um Frieden zu schließen. Wie wichtig dem Künstler der Aufstellungsort ist, wird hier deutlich.

Von einschlägigen Kunstexperten als qualitativ anspruchsvollste Werkbeispiele für die Kunst im öffentlichen Raum überhaupt, teilweise sogar als einzig akzeptierte dieser Gattung gelten Chillidas drei "Windkämme" vor der Felsenküste von San Sebastián. Wie oft in Chillidas Werken begegnen sich auf eindrucksvollste Weise die Natur und die bändigende Kraft des Geistes, welche das Sichtbare umgreifen versucht. Die ersten Erntwürfe für das dreiteilige, 1977 ausgeführte Kunstwerk stammen schon aus dem Jahr 1952.

Die bei Chillida selten zum Ausbruch gelangte Dramatik und Wucht, die hier zu Tage tritt, kam ein letztes Mal bei seiner Plastik "Berlin" zum Ausbruch. Sie resultiert zweifellos aus der Anteilnahme am Schicksal der Stadt. 5,5 Meter hoch und 90 Tonnen schwer, umschlingen sich aus zwei stählernen Pfosten herausgeschälte Arme, sie berühren sich aber nicht. Dies zeigt, wie mühevoll sich die Versuche nach Annäherung gestalten können. An einem der prominentsten Orte Deutschlands, im Ehrenhof des Kanzleramtes, fand somit eines der bedeutendsten Werke des Künstlers seinen Platz. Es demonstriert, wie hochsensibel der Künstler alle Veränderungen stets registriert und entsprechend seinem Naturell hart und kantig formuliert hat. Er schuf mit diesem Meisterwerk einen kontinuierlichen Kommentar zu den politischen Ereignissen. Auch ohne illustrativ zu erscheinen, entfalten seit jeher Chillidas Kunstwerke bildnerische Ansätze, Lesbarkeiten und Sprachqualitäten in engem Bezug auf ihre Standorte, die durch die plastischen Kräfte relativiert werden.

Die Aufstellung und Enthüllung dieses bedeutenden Werkes im Jahre 2000 konnte er jedoch nicht mehr erleben. Krankheitsbedingt trat er noch einmal im September 2000 an die Öffentlichkeit, als er sein privates Freilichtmuseum "Zabalaga" bei San Sebastián eröffnen konnte. In einem zum Museum umgebauten, 1592 errichteten Gutshof mit über zehn Hektar Freigelände werden seitdem über 40 Skulpturen aus Stahl und Granit präsentiert. Hier wird der Künstler, der im Alter von 78 Jahren am 19. August 2002 in seiner Heimatstadt starb, unter einem Magnolienbaum seine letzte Ruhestätte finden.

Ein letztes Mal wird er wohl mit einem neuen Werk ins Rampenlicht der Öffentlichkeit treten, das etwa zeitgleich mit der Berliner Arbeit für die am 16. September neu zu eröffnende Münchner Pinakothek der Moderne geschaffen wurde. "Das Licht suchen II" heißen die drei betretbaren, über neun Meter hohen Hohlformen mit den nach oben sich öffnenden Blütenkelchen. Wie drei Grazien stehen sie für die drei Pinakotheken am Platz und sollen nach Licht suchen. München wird im Gegensatz zu Berlin mit einer unaufgeregten Arbeit treffend als traditionsreicher Ort des Wohlklanges interpretiert. Eindringliches Ausrufezeichen und Schlusspunkt seines künstlerischen Schaffens aber bleibt der in Eisen gegossene Dialog vor dem Berliner Kanzleramt mit der Aufforderung, vorurteilsfrei aufeinander zuzugehen. Es bleibt an uns, sich diesem Auftrag zu stellen.

31.08.2002  -  Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Hans-Peter Schwanke