Eine Möglichkeit, Denkmäler
zu entsorgen, beschreibt der junge ungarische Schriftsteller Pál Ficsku:
"Was von den Statuen übrig blieb, schafften die Dorfbewohner weg. Von Zeit
zu Zeit tauchten dann einzelne Teile irgendwo wieder auf, das ein oder andere
Bein etwa. Der Arm des Verteidigungsministers zum Beispiel wurde beim Gergely
zu Hause gesehen." Zerstören und in Einzelteilen wegschaffen - das ist die
eine Variante.
In Budapest findet sich eine andere: Der Statuen-Park, ein museales Gehege für
unerwünschte Standbilder. "Mit propagandistischen Statuen habe ich einen
Anti-Propaganda-Park entworfen", so umschreibt Architekt Akos Eleöd sein
Projekt.
Wer mit dem Auto rausfährt nach Budafok, hält vergebens Ausschau nach einem
Hinweisschild auf den Park. Unvermittelt tauchen sie auf: Lenin links, Marx und
Engels rechts, überlebensgrosse Statuen eingefügt in eine Ziegelsteinfassade.
Auf dem Schotterparkplatz spielen vier junge Männer Formel Eins mit einem roten
Lada. Kavalierstarts und Bremsproben wirbeln Staub auf. Die umliegenden Häuser
sind vernachlässigt, halbfertig noch oder schon so alt, daß sie nicht mehr
bewohnt werden. Zwei Schäferhunde liefern sich eine Verfolgungsjagd über die
Grundstücke.
Rund um das Gelände steht ein Dutzend Transformatoren, der Park -- eine
Sondermülldeponie der ungarischen Transformationsgesellschaft. Schwarze
Skulpturen und der Himmel voller Stromleitungen, hier wird die sozialistische
Losung bebildert: Kommunismus gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung. Ironie
auch gleich am Eingang: Marschmusik scheppert aus einem alten DDR
Transistor. Bei der Kassiererin hängen T-Shirts, auf denen Lenin für Mc Donalds wirbt, und
in einer Vitrine liegen sozialistische Wimpel und Ehrennadeln zum Verkauf.
Pompöse Heldenstatuen in depressiver Umgebung. Bis zur Wende standen sie an
exponierten Budapester Plätzen. Jetzt wirken sie absurd zusammengesucht,
abgelegen abgestellt, geradezu rat- und hilflos.
Heldendenkmäler brauchen Heldenplätze, sie sind nicht dazu gemacht, Beziehungen
zueinander aufzunehmen. Von Bergen, Hügeln und Bauwerken wollen sie runterschauen aufs Volk. Jetzt aber stehen sie auf profanen Sockeln aus rotem
Klinker in platter Landschaft, umgeben von pflegeleichtem Rasen und Kies.
Der Sturz vom Sockel hat Spuren hinterlassen: Hier fehlt der Unterschenkel,
dort die Nase. Viele Statuen haben Dellen und Macken, als hätte jemand
versucht, ein Stück rauszubrechen. Die Blicke der Figuren verdichten sich auf
dem kleinen Gelände zu theatralischen Achsen. Großsprecherisch zeigen die
Helden aufeinander oder rennen mit erhobenen Armen los - strotzend vor Kraft
und Stärke. Könnten sie laufen, sie würden frontal zusammenstossen. Sie waren Wahrzeichen
der politischen Kultur des Sozialismus. Und jetzt? "Wir haben Zeit genug,
darüber nachzudenken. Die Statuen sind noch lange haltbar", sagt Architekt
Ákos Eleöd lakonisch. Angeregt wurde der Park von Lászlo Szörényi, einem
Historiker. Er forderte schon 1989 einen "Lenin-Garten", in dem
ungarische Lenins gesammelt werden sollten. Der Stadtrat von Budapest hat diese
Idee aufgegriffen. Drei Gestaltungsvorschläge brachte die Ausschreibung, das
Architenktenbüro Vadász&Partner bekam den Zuschlag und der 22. Stadtbezirk
stellte das Grundstück. Obwohl der Park vor fünf Jahren eröffnet wurde, ist er
noch nicht fertig. Statt einer Mauer um das Gelände hat es bisher nur für einen
Maschendraht gereicht.
In den Strassen der ungarischen Hauptstadt reagieren viele mit Achselzucken auf
das Projekt. Auch Josef Sebök von der Touristen-Information findet es
merkwürdig, für eine Sammlung totalitärer Standbilder einen Ausflug zu machen:
"Diese Dinger haben wir lange genug gesehen, als sie noch an ihrem
Original-Platz standen."
Ágnes Fekete hingegen, eine 26jährige Studentin aus Budapest, sieht im Park
"Orientierungspunkte ihrer Kindheit" wieder: "Wenn wir nach
Westen aus der Stadt rausfuhren, dann führte der Weg an Kapitän Osztapenkó
vorbei. Osztapenkó war Treffpunkt für Tramper auf dem Weg zum Plattensee. Und
wenn wir nach Osten hinausfuhren, dann stand da der General Steinmetz. Die
Statuen der beiden Rotarmisten sind jetzt in den Park gebracht, und die
Stellen, wo sie standen, sind leer. Trotzdem sagen die Budapester weiterhin:
Treffen wir uns beim Steinmetz oder beim Osztapenkó'". Nicht immer ist
verschwunden, was nicht mehr sichtbar ist.
Steinmetz Standbild ist wie viele andere nicht zum ersten Mal unerwünscht.
Miklós Steinmetz war sowjetischer Gesandter im von Nazis besetzten Budapest. Er
starb 1944 bei der Explosion einer Mine. Auch sein Standbild wurde durch eine
Bombe zerstört - 1956 im anti-sowjetischen Volksaufstand. Der Bildhauer der
Statue, Sándor Mikus, hat sie nach dem Anschlag auch repariert. 1958 wurde
Steinmetz wiederaufgestellt. Nach der Wende war ein neuerlicher Anschlag auf
die Steinmetz-Statue angedroht. Davor hat ihn der Abtransport in den Park geschützt. - Nicht überall in Ungarn wird so verfahren mit sozialistischen
Symbolen. Neunzig Kilometer von Budapest entfernt liegt Dunaújváros, vormals
Stalinstadt, bekannt für Stahlindustrie und Plattenbauten. Hier stehen viele
sozialistische Denkmäler noch. Nur der rote Stern - es war der größte Ungarns
- wurde vom Wasserturm abgebaut.
Ágnes Fekete bemängelt, dass in Budapest auch Statuen weggeschafft wurden, die
es nicht verdient hätten. Etwa eine Bronze-Plastik von Imre Varga. "Eine
Gruppe von Leuten, im Stil der 20er Jahre gekleidet, läuft an einem Redner
vorbei." Die einzige Statue, bei der Frauen als Frauen in Erscheinung
treten. Vargas Werk sei kritisch gemeint. Und jetzt sei der kleine Park in Buda, in dem das Werk ursprünglich stand, kahl und öde. Mußte wirklich soviel
aus dem öffentlichen Gedächtnis abtransportiert werden? Warum stehen hier
Werke, die Ungarns Kämpfern im spanischen Bürgerkrieg gewidmet sind? Warum sind
Befreier vom Faschismus, Opfer des Stalin-Terrors sowie Helden des ungarischen
Volksaufstandes von 1956 in Ungnade gefallen? Offenbar muss alles, was der
Sozialismus als Propaganda benutzte, aus dem öffentlichen Raum verbannt werden.
Vielleicht weil so einer neuerlichen Indienstnahme das Material entzogen werden
soll. Machtkunst im Zeitalter von Marktkunst:
"Wo der Markt zugreift, verschwindet Geschichte", kommentiert Wilhelm
Droste, ein deutscher Wahl-Budapester, das Abräumen.
In Prag wurde Lenin durch Michael Jackson ersetzt. In Warschau folgten den Heroen die Heiligen. In Budapest bleiben viele Plätze leer.
Vereinzelt tauchen Marienstatuen auf, und einige Habsburger-Denkmäler sollen
irgendwo der Zerstörung in den 50er Jahren entgangen und jetzt entdeckt worden
sein. Im Cafe Dürer in der Budapester Universität hängt seit kurzem wieder eine
Büste des Philosophen Georg Lukacs. Die hat für Aufsehen gesorgt. Die Meinungen
über Lucacs gehen auseinander: Die einen akzeptieren ihn als Philosophen, die
anderen lehnen ihn als sozialistischen Ideologen ab.
Für den Schriftsteller Pál Ficsku ist die totalitäre Formensprache der Statuen
Sprengstoff für die Demokratie. Seine Erzählung "Andreas Bieders Aussage
im Fall Ulrike Meier. Von der Terroristengruppe Bieder-Meier" handelt von
der im Sozialismus gefeierten Bildhauerin Ulrike Meier. Sie hat Lenin-Statuen
produziert und kommunistische Dichter porträtiert.
Nach der Wende arbeitet sie heimlich im alten Stil weiter. Jetzt stellen ihre
Statuen allerdings demokratisch gewählte Politiker dar. Ulrike Meiers Werke
werden zu postkommunistischen Terroranschlägen auf das neue System.
"Irgendwo bleiben die restlichen Teile", sagt Ficsku über die Statuen
aus dem Sozialismus. "Das beste ist, wir gucken, wo."
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