Kunst
an einem verwunschenen Ort
Das
Tor zum Anwesen ist weit offen. "Kurt Herberts" steht auf dem
verwitterten Schild an der Mauer. Dann geht es durch den Wald, über zahlreiche
Schlaglöcher die Serpentinen hinauf. Und noch ein Tor. Vorbei an einem
verwahrlosten Gärtnerhäuschen. Hinter der nächsten Kurve steht sie ganz
überraschend vor uns - die weiße Villa mit den runden Ecken. Ein bisschen
marode schaut sie aus und ziemlich leer. Kurt Herberts, der Fabrikant mit der
anthroposophischen Vorliebe, wohnt schon lange nicht mehr hier. Der neue
Besitzer des Geländes heißt Tony Cragg und ist Bildhauer. Wir
befinden uns mitten in Wuppertal, Craggs Wahlheimat seit dreißig Jahren.
Genauer: Am Südhang der Stadt, oberhalb des Flusses, an der Grenze zwischen
Barmen und Elberfeld. Hier will der gebürtige Brite einen Skulpturenpark
entstehen lassen. Hier, in dieser landschaftsgeschützten, 15 Hektar großen
Urwüchsigkeit. Jahrzehntelang hat sich niemand um dieses verwunschene Gelände
gekümmert. Cragg hat es 2005 entdeckt und ein Jahr später gekauft.
Seither sind die Handwerker im Einsatz. Tony Cragg wartet schon -
bemützt und im rustikalen Outfit.
Das
riesige Grundstück reicht bis ins Tal hinunter und erstreckt sich am Horizont
entlang, so weit man schauen kann. Still und kühl ist es hier. Schmale Wege
führen durch den alten Baumbestand. Schritt für Schritt entwirft der 57jährige
Bildhauer seine Vision. Vor seinem geistigen Auge verwandelt sich die marode
Auffahrt in einen Fußweg, der verwilderte Tennis- in einen Parkplatz, das
Gärtnerhäuschen in ein Café, die alte Villa in ein Kultur- und Tagungszentrum.
Die gekachelten Becken der alten Kneipp-Anlage, sie dürfen bleiben, während
diverse Geräteschuppen und der einst als Löschteich deklarierte Swimmingpool
dem Bagger zum Opfer fallen. Dort drüben wird ein neuer Glaspavillon Plastiken
von internationalen Künstlern zeigen. Dennoch
ist kein Kahlschlag zu befürchten. Die Kunst soll sich bescheiden einfügen, der
Besucher gesunde
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Luft atmen und erholsame Stunden genießen können. Immer wieder
macht Tony Cragg auf die seltsamen Kästen aufmerksam, die in
wenigen hundert Metern Abstand zwischen den Bäumen auftauchen. Es sind
versteckte Telefone. Kurt Herberts, der Lackfabrikant, hat sie installieren
lassen, um überall erreichbar zu sein. Ein ungewöhnlicher Mann. Spätestens beim
Eintritt in die sanierungsbedürftige Villa wird das klar. Was für ein Ort! Kein
Mensch würde hier über vierzig Zimmer vermuten. Es gibt Geheimtüren und
Fluchtwege, eine eigene Telefonzentrale und ein Notstromaggregat. Oskar
Schlemmer und Willi Baumeister, beide als "entartet" von den Nazis
verfemt, versorgte Herberts in seinem eigens gegründeten
"Maltechnikum", das die Möglichkeiten firmeneigener Lacke
untersuchte, mit Aufträgen. Das war 1937 keine Selbstverständlichkeit. Die
Villa selbst beherbergte eine Kunstsammlung, die im Bombenhagel vernichtet
wurde. Nachdem
das Gebäude im Krieg zerstört worden war, ließ Herberts es in den fünfziger
Jahren wieder aufbauen, berichtet Cragg. Auch wenn noch viel zu tun ist
- das Dach ist schadhaft, einige Wände sind feucht - soll schon im Sommer 2008
das privat finanzierte Projekt der Öffentlichkeit zugänglich sein. Warum
eigentlich will der agile Bildhauer sein Atelier nicht hierher verlegen? Nach
anschließender Einladung dorthin erübrigt sich die Antwort. Craggs riesige
Werkstatt, untergebracht in der Panzergarage einer ehemaligen Kaserne, bietet
nicht nur einen herrlichen Ausblick auf die bergische Region, sondern auch weit
großzügigere Räume als die organische Architektur der Villa
"Waldfrieden". Mehr als ein Dutzend Assistenten sägen, schrauben und
feilen in diversen Hallen an den Großplastiken des Meisters, der den
Arbeitsprozess akribisch verfolgt, prüft, korrigiert. Gigantische
Styroporformen dienen als Modell.
Auf
dem internationalen Markt werden Craggs Werke mit fünf- und sechsstelligen
Summen gehandelt. Zurzeit widmet das Duisburger Lehmbruck-Museum dem mehrfachen
documenta-Teilnehmer und Hochschulprofessor eine Einzelausstellung. Der Titel
ist Programm: "Das Potenzial der Dinge" heißt die Schau.
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