Spiegel-Online
11. 12. 2006:
HOLOCAUST-KONFERENZ IN BERLIN
Antisemitismus
in der Mitte der Gesellschaft
Von
Yassin Musharbash
Wie
steht es um die Erinnerung an den Holocaust, welchen Einfluss haben Leugner der
Schoah, was sind die neuen Formen des Antisemitismus? Diese Fragen stellte eine
hochrangig besetzte Konferenz in Berlin. Sie fand nicht zufällig parallel zur
Propaganda- Veranstaltung in
Teheran statt.
Berlin
- Zu Beginn seiner Karriere, vor fast vier Jahrzehnten, wollte kein Verlag
seine Bücher drucken: "Man meinte entweder, man wisse schon alles über den
Holocaust, oder dass solche Bücher nicht zu verkaufen seien", berichtete
Raul Hilberg heute in Berlin auf der von der Bundeszentrale für Politische
Bildung (bpb) organisierten Konferenz "Der Holocaust im transnationalen
Gedächtnis", bei der SPIEGEL ONLINE sich als Medienpartner engagiert.
Mittlerweile
ist der 80-jährige Hilberg, emeritierter Professor der University of Vermont,
freilich längst der international anerkannte Nestor der Schoah-Forschung. Sein
eindringlicher Vortrag zur Geschichte dieser Unterdisziplin der
Geschichtswissenschaft wurde mit viel Beifall aufgenommen. Hilberg selbst
drückte seine Freude darüber aus, dass die Zahl der Erforscher der Verfolgung
und Vernichtung der europäischen Juden heutzutage erfreulich groß sei. Dass
aber trotzdem weder die Leugnung des Holocaust und schon gar nicht der Antisemitismus
des Alltags verschwunden sind - das war der Anlass für die Konferenz.
Es
gehe darum, "einen differenzierten und engagierten Diskurs
anzuregen," sagte bpb-Chef Thomas Krüger zur Einleitung. Dass die Tagung
parallel zu einer vom iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad
herbeigewünschten Konferenz stattfand, deren Ziel nicht weniger als eben die
Infragestellung des Holocausts ist, war kein Zufall. Aber auch nicht ihr
einziger oder eigentlicher Zweck, wie Krüger betonte: "Wir haben keinen
Grund, uns inhaltlich darauf zu beziehen", lautetet seine Botschaft nach
Teheran. Auch die übrigen Vortragenden waren sich einig: Der islamistische
Geschichtsrevisionismus a la Ahmadinedschad kann nicht Gesprächspartner, er
kann nur Gegenstand der Antisemitismusforschung sein.
"Hier
sind die Zahlen"
Deren
Stand und Geschichte nachzuerzählen, war Aufgabe des ersten Redners, eben Raul
Hilberg. Gestützt auf eine Vielzahl zeithistorischer Quellen zeichnete er nach,
wie fließend die fanatische Idee der "Endlösung" entstand:
"Keine wusste 1933, was 1938 passieren oder 1941 beschlossen würde. Es gab
eine Richtung, aber kein Ziel." In diesem Sinne, so Hilberg, sei der
Holocaust "selbstverständlich" gewesen - für die Gruppe der
Ausführenden nämlich, die, wie es der in London lehrende Peter Longerich
ausdrückte, "instinktiv verstanden, was die Führung wünschte." Am
Ende von Hilbergs Vortrag klangen lange seine Schätzungen des quantitativen
Ausmaßes des Unfassbaren nach: 800.000 ermordete Juden in den Ghettos,
1.400.000 Erschießungen, 2.900.000 Tote in den Lagern - neben anderen jüdischen
Nazi-Opfern. "Es sind ja die Zahlen, die von den Leugnern in Zweifel
gezogen werden. Aber hier sind sie", sagte Hilberg leise dazu.
Tröstlich
ist da immerhin der zweite Konsens der wissenschaftlichen Erforscher des
Zivilisationsbruchs: Dass "die Holocaustforschung nie in Gefahr war, sich
von den Leugnern in absurde Debatten ziehen oder sich von ihnen die Agenda
diktieren zu lassen", so Longerich. Er schlug vor, doch jährlich eine
große, internationale Holocaust-Konferenz in Deutschland abzuhalten. Wenn der
Beifall der hunderten Teilnehmer ein Maßstab ist, dann fiel die Idee auf
fruchtbaren Boden.
Es
war vor allem die Debatte über den aktuellen Antisemitismus in all seinen
Ausprägungen, die die Konferenz prägte. Natan Sznaider vom Academic College in
Tel Aviv lenkte den Blick auf die Ausgangsfragestellung nach der
"Transnationalität des Gedenkens" und beklagte einen schleichenden
Verlust der Trennschärfe: "Der Holocaust wurde zum Sinnbild der Barbarei,
und jeder darf sich bedienen, denn in diesem Diskurs gibt es keine Deutschen
und keine Juden." Sznaider bezog sich damit vor allem auf die "Falle
der Universalität" und die "lokale Vereinnahmung" der Schoah,
der aus seinem eigentlichen Kontext losgelöst wurde - mit der grotesken Folge,
dass man "heute wegen Auschwitz gegen Israel sein kann". Dabei so
Sznaider zu Beginn und zu Ende, "war die Endlösung kein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit, sondern eines gegen die Juden."
Harald
Welzer vom "Centre for Interdisciplinary Memory Research" in Essen
bestätigte diesen Befund, indem er auf eigene Untersuchungen des
Holocaust-Erinnerns im Ausland verwies. In Norwegen, in der Schweiz, in den
Niederlanden: Wo immer Welzer und seine Kollegen Interviews führten, stellten
sie fest, dass erschreckend viele Menschen den Holocaust zum Beispiel mit der
aktuellen Nahost-Problematik in Verbindung bringen oder akut antisemitische
Äußerungen machen.
Der
deutschiranische Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani lieferte
eine Einschätzung der antisemitischen und antiisraelischen Polemiken und
Drohungen des iranischen Präsidenten: Dieser ziele nach Außen, so der Befund,
und er gewinne mit dieser Agenda vor allem in der arabischen Welt tatsächlich
an Unterstützung - während im Iran selbst ironischerweise in den verbliebenen
intellektuellen Nischen der Holocaust als unbestrittenes Ereignis wieder mit
neuer Verve diskutiert werde.
Anstieg
des "nicht durchdachten Antisemitismus"
Wolfgang
Benz vom "Zentrum für Antisemitismusforschung" in Berlin warnte mit
Bezug auf Deutschland vor zunehmenden Versuchen von Rechtsextremisten, mit
Tabubrüchen zu provozieren oder den Holocaust zu trivialisieren. Typisch seien
dafür etwa Schmähungen des Holocaust-Mahnmals in Berlin als "Bundesschamanlage"
oder die in NPD-Kreisen gängige Formulierung vom "Bombenholocaust von
Dresden". Eine besondere Herausforderung sei überdies die Tatsache, dass
Deutschland ein Einwanderungsland sei - Tschechen, Polen, aber auch Migranten
aus der islamischen Welt brächten "eine gewisse
Erinnerungskonkurrenz" mit. Sein Fazit: "Betroffenheit darf von
Zuwanderern ebenso wenig erwartet werden wie Schuld oder Scham. Die Annahme von
Informationen dürfen sie aber nicht ablehnen."
Den
Blick auf Antisemitimus und Holocaustleugnung in Frankreich lenkte Jean-Yves
Camus vom "Institut de Relations Internationales et Stratégiques" in
Paris: Hier würden die Mehrzahl antisemitischer Übergriffe von jungen Männern
aus den Maghrebstatten begangen. Allerdings, so Camus, gebe es dafür weniger
eine religiöse Grundlage als vielmehr die Aufwiegelung durch einseitige und zum
Teil antisemitische Satellitensender. Diese Befunde bestätigte im Großen und
Ganzen auch der Islamwissenschaftler Michael Kiefer für die junge
Migrantengeneration in Deutschland: Die Zunahme an Antisemitismus in diesen
Zirkeln habe mit Medien zu tun, sei aber "nicht durchdacht".
Es
war eine Konferenz zur richtigen Zeit, mit dem richtigen Thema und
wahrscheinlich auch am richtigen Ort: Das belegte nicht nur die außerordentlich
hohe Zahl an interessierten Teilnehmern, die längst nicht alle Wissenschaftler
waren. Die Antisemiten, so das Fazit der Veranstaltung, sind mitten unter uns
und gewinnen an Boden. Das gibt Anlass zur Sorge. Die Leugner der
millionenfaches Judenmordes allerdings bleiben nach wie vor eine radikale
Minderheit.
Es
gehe darum, so der Bundestagsabgeordnete Gert Weisskirchen, der zugleich
Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des
Antisemitismus ist, "täglich den Kampf gegen den Gedächtnisverlust"
zu führen. Im nächsten Jahr also wieder in Berlin?
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