Denkmal für die ermordeten Juden Europas - (Holocaust-Mahnmal)                                                  Zurück
 


„Die Zeit“ Nr 27/1999  -   Christof Siemes


Noch Fragen?
Das Holocaust-Denkmal wird gebaut. Rückblicke, Prognosen, Seitenhiebe
Noch jagen an Sommertagen wie diesem Schwalben sichelgleich über den Gegenstand der Debatte. Der ist bislang nichts als eine gewaltige Sandwanne. Ein Tümpel hat sich am südlichen Ende gebildet, gesäumt von Unkraut und Mohn. Eine seltsame Pietät liegt über der Brache, als harrte sie der großen Dinge, die da kommen. Von oben, von der Kuppel des Reichstags aus schrumpft die weite Leere zur Lücke in der Riesenbaustelle zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Jetzt wird sie geschlossen.

Herr Dr. Kohl, sind Sie nun zufrieden? Helmut Kohl schnaubt. "Nein!" Stundenlang hat er in der Bundestagsdebatte ausgeharrt, mal mürrisch in sich versunken, mal freundlich Beifall spendend, sogar für die Kollegen von der PDS. Jetzt hat er sich aus dem Plenarsaal gewuchtet und drängt einem Seitenausgang zu. Aber Sie waren doch auch für Eisenman (und hätten ihn, beiseite gesprochen, besser noch vor der Bundestagswahl umgesetzt, aber Sie glaubten ja an Ihre Wiederwahl). "Über das Mahnmal müssen Sie mir nichts erzählen! Aber ich wollte nie dieses parteipolitische Treiben. Ich bin enttäuscht über die Abstimmung, nicht das Ergebnis."

Lea Rosh findet den Ausgang "wunderbar". Von Anfang an war sie die treibende Kraft hinter dem Vorhaben, so energisch, unermüdlich und effektiv, dass man ihr lauter unlautere Motive für ihr Engagement unterstellt hat. Ihr Hang zum mondänen Auftritt scheint dem ernsten Thema so gar nicht angemessen. Aber heißt professionell automatisch verlogen? Wie auf Knopfdruck hat sie Namen, Zahlen, Fakten über den Holocaust parat, bei Bedarf auch Mitgefühl, Verschwörungstheorien und Selbstgerechtigkeit: "Es geht doch fast niemandem mehr um die ermordeten Juden. Die Einzigen, denen es noch darum geht, sind wir. Und der Antrag des Kulturausschusses ist auch so ein Wischiwaschi. 'Unvorstellbares Verbrechen' - das ist so ein Gequassel. Ich kann mir eine Erschießung sehr gut vorstellen und eine Gaskammer auch."

Unübersehbar hatte sie über der Debatte gethront, auf der Besuchertribüne ganz vorn, die goldenen Schuhe an der gläsernen Brüstung. Als schließlich der Vorschlag Richard Schröders (in ihrer Diktion: die Dummheit) mit 188 zu 354 Stimmen abgelehnt wurde, schlug sie sich erleichtert auf die Brust und stürmte nach draußen - dem Handy und den Kameras entgegen.

30 Redner machen noch keine große Debatte

Denen muss sich auch Michael Naumann stellen, Staatsminister für Kultur. Er schaut so, als habe er gerade eine Reise für zwei Personen auf eine einsame polnische Insel gewonnen - zusammen mit Lea Rosh. Schon in der Sitzung schien mindestens eine Betonstele ihn und seine Mundwinkel nach unten zu ziehen. Was seine Auftritte sonst so angenehm macht, persönliches Engagement, Belesenheit - nichts davon an diesem Tag. Stattdessen unternahm er den verzweifelten Versuch, den Bundeskanzler vor sich selbst zu schützen: Gerhard Schröder habe doch Recht gehabt damit, dass man zum Denkmal für die ermordeten Juden gerne hingehen müsse. "Denn nur wer gerne hingeht, geht auch hin!" Die Größe, sich von seinen gewaltigen, multimedialen Museumsplänen öffentlich zu distanzieren, hat Naumann nicht. Kann er einfach nicht für etwas sein, das Helmut Kohl entscheidend vorangebracht hat? Oder will er gar das Denkmal ganz verhindern? Das vermutete nicht nur der Abgeordnete Günter Nooke. Der empfahl dem Plenum, auf die persönlichen Probleme des Ministers keine Rücksicht zu nehmen.

Wie Naumann ächzte das gesamte Hohe Haus unter dem Erwartungsdruck, die elfjährige Diskussion mit einer würdigen Sitzung zu beenden. Allzu viele Abgeordnete schwänzten die historischen Stunden gleich ganz und kamen erst zum Abstimmen. Und auch mehr als 30 Redner machen noch keine große Debatte, zumal die, die man gern gehört hätte, den Weg ans Mikrofon scheuten: Schäuble, Kohl, vor allem Gerhard Schröder. Der floh in die erste Reihe seiner Fraktion, sein Desinteresse an symbolischer Politik symbolisierend. Pflichtbewusst, bemüht, nur selten bewegt, hangelte sich der Rest von Formulierung zu Formulierung, die andere, Klügere über Jahre bereitgestellt haben. Derweil spielten die Kameraleute im Foyer Doppelkopf. So bleibt denn auch Gerhardts Wunsch unerfüllt: Er wollte Eisenman ohne jeden erklärenden Zusatz. Aber die Abgeordneten hatten dann doch nicht den Mut, allein auf die Kraft der abstrakten Kunst zu vertrauen. Sie entschieden für einen Bau an der Kunst, einen "Ort der Information". Ob beabsichtigt oder nicht: Damit wahrten sie auch einen letzten Rest von Naumanns hochfliegenden Plänen sowie sein Gesicht. "Anders wäre es gar nicht gegangen", sagt Elke Leonhard, Parteigenossin des Ministers, Vorsitzende des Kulturausschusses und energische Managerin der letzten Monate vor der Abstimmung. "Naumann hat 98 Prozent abgespeckt, da mussten wir ihm 2 Prozent entgegenkommen." Die konsenssüchtige Gesellschaft versammelt sich unter dem Schutzmantel der Museumspädagogik - auch dies ein Symbol eines symbolträchtigen Tages.

Und wie weiter? "Wachsweich" findet nämlich nicht nur Rita Süssmuth jenen Abschnitt mit dem ominösen "Ort der Information", "hoffentlich kommt da nicht Naumann durch die Hintertür mit seinen Museumsplänen zurück!" Dieses Schlupfloch hatte schon der Grüne Volker Beck vernageln wollen. Ein Info-Ort solle sein, aber kein Haus, kein Gebäude dürfe Eisenmans 2700 Stelen beeinträchtigen, sagte er mit Blick auf Naumann. Dann bleibt wohl nur ein Zelt. Oder ein Keller.

Der aber geht nicht. "Drunter ist die Spree, das wird zu teuer", sagt Lea Rosh. Da auch sie das Stelenfeld nicht antasten will, streckt sie die Hand gleich nach einem weiteren Grundstück aus: dem Parkplatz nebenan, vor den Wohnhäusern an der Behrenstraße. "Den kann man wegnehmen und einen flachen Pavillon draufstellen, 1000 bis 1500 Quadratmeter." Geschätzte Kosten: ein bis zwei Millionen Mark. Bei mehr will sie nicht mitmachen, schließlich habe ihr Förderkreis bei der Ausschreibung nur ein Drittel des Gesamtvolumens von 15 Millionen Mark zugesagt. Einen Teil des Geldes hat sie schon beisammen, auf Spendenkonten eingefroren. Jetzt soll mit einer gezielten Kampagne der Rest aufgetrieben werden. Im Innern des Pavillons denkt Frau Rosh an etwas "sehr Einfaches": Landkarten Europas mit Angaben darüber, wo die Juden lebten, dazu die Verlustziffern, die Tatorte. Und, um den Völkermord zu "entanonymisieren", eine Installation ähnlich der im Washingtoner Holocaust Museum: Monitore, auf denen die Lebensläufe von mehr als vier Millionen Ermordeten nachzuschlagen sind.

Im September kann Lea Rosh ihre Vorstellungen in die richtige Runde werfen. Dann nämlich möchte Elke Leonhard erstmals die möglichen Mitglieder der Stiftung einladen: Vertreter von Bund, Berlin, Förderkreis, allen Opfergruppen, den anderen Gedenkstätten, der jüdischen Gemeinde und sonstige Experten - kurz alle, die bislang schon die Pluralität der Meinungen und die Schwierigkeit von Kompromissen garantierten. Fünf Millionen Mark stehen für den "Ort der Information" bereit, sagt Leonhard, dies sei die vom Haushaltsausschuss vorgegebene Obergrenze. Gestalten soll den Ort Peter Eisenman, in einem seiner Modelle sei ein kleines Haus ja schon vorgesehen. Also doch ein Haus? Und ein paar Stelen weniger? Was wird Volker Beck dann sagen? Fragen über Fragen.

Die hat auch Reinhard Rürup, der wissenschaftliche Direktor der Gedenkstätte
Topographie des Terrors. Was ist mit der Infrastruktur, fragt er. "Sobald Sie ein Gebäude haben, haben Sie was zu verwalten, angefangen bei den Toiletten." Wer ist zuständig für Schneeräumung, Drehgenehmigungen, Organisation protokollarischer Ereignisse? Muss das Denkmal nicht eingefriedet werden? Im Juli schon soll eine Expertenkommission des Senats Sicherheitsvorkehrungen in Washington studieren. Rürup hat wenig Angst vor Obdachlosen, Fixern, rechten Schmieranten. Auch die Topographie des Terrors ist davon verschont geblieben. Aber wer trägt die Folgekosten für Bewachung, Verwaltung, Erhaltung? Das klingt banal - und muss doch entschieden werden, einvernehmlich. Deshalb (und im Interesse seiner eigenen Gedenkstätte) will Rürup nicht auch noch eine Ausstellung beim Denkmal, sondern nur ein Minimum an Information, "das man in zehn, fünfzehn Minuten im Stehen zur Kenntnis nehmen kann". Dazu Hinweise auf andere Gedenkstätten, Karten, wie man dorthin gelangt, eventuell einen Bus-Shuttle-Service.

Ein weiteres Problem heißt mit Vornamen Eberhard und mit Nachnamen Diepgen. In seiner bedächtig schaukelnden Redeweise, die stets das Denken vor dem Reden suggerieren soll, weigert sich der Regierende Bürgermeister Berlins, die Entscheidung des Bundestages vorbehaltlos zu akzeptieren. Der Senat werde bei der Gestaltung insbesondere des "Ortes der Information" mitreden. Seine heimliche Hoffnung: je mehr Ort, desto weniger Stelen, umso besser für Berlin. Warum er, der sich so gern und unwiderlegbar auf die Stimme der Bürger, Menschen, Wähler beruft, sich dem eindeutigen Votum der Volksvertreter nicht recht beugen will, ist für seine schärfsten Gegner kein Geheimnis: Da komme halt der Burschenschaftler wieder durch. Und im Oktober wird gewählt.

Da heißt sein Widersacher Walter Momper. Der würde als Bürgermeister den Bundestagsbeschluss ohne Wenn und Aber umsetzen. Sagt er jedenfalls, die Stimmung in der Stadt sei, wie bei solchen Sachen immer, halbe-halbe. Dann erläutert er das weitere Verfahren: Die Baugenehmigung erteilt der Berliner Bezirk Mitte, in dem eine Mehrheit für das Stelenfeld ist. Wegen der überragenden Bedeutung könnte aber der Bausenator, ein Eisenman-Gegner, das Verfahren an sich ziehen und mit Streitereien über die exakte Planung endlos verlängern. Was, und nun weist Mompers Hand schon in eine vage Ferne, die Frage der Bundestreue aufwerfe; mit einem sogenannten Maßnahmegesetz könne Bonn, in Zukunft Berlin, sich gegen Berlin durchsetzen ... Schwierige verfassungsrechtliche Fragen. Und noch eine praktische, bestimmt nicht die letzte, kommt dazu: Was tun, wenn die Amerikaner um den Neubau ihrer Botschaft herum wie angekündigt einen 30 Meter breiten Sicherheitsstreifen fordern? Dann fehlt dem Denkmalsareal ein veritables Stück. Ein Baubeginn am 27. Januar 2000, dem Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus, wäre dann trotz aller guten Wünsche eine Illusion.

Der Bundestag hat entschieden, so gut er konnte. Das ist gut so. Was er nicht entscheiden konnte: dass im nächsten Jahr kein Mohn mehr in der Sandwanne blüht. Die Debatte darüber ist eröffnet.